von Leo-Schreibt
Der Mann mit dem Koffer stand an eines Montagmorgens an der Hausecke. Dunkler Trenchcoat, graue Haare, einen silberfarbenen Aktenkoffer in der Hand.
Am Freitagmorgen fuhr Hannes im Golf das fünfte Mal an ihm vorbei. “Guck mal”, sagte er zu Nils, “der steht da jeden Morgen an der gleichen Stelle, aber erst seit dieser Woche.” “Na und!”, knurrte Nils.
“Na, der schaut doch komisch aus, findse nicht? Da hält kein Bus. Was steht er da? Auf wen wartet er?” “Wat weiß ich? Fahr is grün.” “Is ja gut, alter Morgenmuffel.”
Am nächsten Montag standen sie wieder an der Ampel und Hannes beäugte den Mann mit dem Koffer. “Da isser wieder. Wat wohl in dem Koffer is? Sieht aus wie ein Geldkoffer, oder so?”
“Mir doch wurscht”, brummte Nils. “Wahrscheinlich nur seine Stullen.”
“Dafür brauchste nich son großen Koffer.” Nils zuckte die Achseln. “Wahrscheinlich fühlt er sich damit wichtig. Wat weiß ich. Oder er schleppt den Kopf seiner Toten Frau mit sich rum.” Hannes lachte. “Du bist bescheuert!”
“Fahr, is grün.”
Am folgenden Freitag stand Hannes allein an der Ampel. Nils hatte sich krank gemeldet. Er starrte den Mann mit dem Koffer an. Plötzlich drehte der seinen Kopf und blickte in Hannes Richtung. “Huch, der hat mich bemerkt.” Hannes fixierte angestrengt das Rotlicht. Da klopfte es am Fenster auf der Beifahrerseite. Hannes zuckte zusammen. Der Mann mit dem Koffer stand neben seinem Wagen und ein Paar unergründlicher, dunkler Augen fixierten ihn. Er seufzte und senkte die Scheibe ein wenig. “Ja bitte?”
“Verzeihen Sie meine Aufdringlichkeit. Mir ist aufgefallen, dass Sie diesen Weg jeden Morgen wählen, obgleich sonst in Begleitung. Würden Sie einem Fremden einen Gefallen erweisen?” “Kommt drauf an…”
“Ich bin in einer, sagen wir, etwas verzwickten Situation. Sie erscheinen mir ein vertrauenswürdiger Mann mit Ehre zu sein. Daher würde ich Ihnen gerne dieses hier anvertrauen. Es wäre nur für kurze Zeit. In nur wenigen Tagen werden Sie mich erneut hier vorfinden und ich werde Sie von Ihrer Last befreien.“
“Ich weiß nicht…” Hinter ihm ertönte lautes Hupen. Die Ampel hatte auf grün geschaltet. “Es soll Ihr Schaden nicht sein.”
Das Hupen wurde wilder. “Na gut aber nur bis nächste Woche.” Er senkte die Scheibe noch ein wenig und der Mann legte den Koffer auf den Beifahrersitz. “Warten Sie, wie…” Doch der Mann war verschwunden. Das Auto hinter ihm hupte wieder. “Ja doch!” Hannes fuhr los.
“Ja wie? Und Du hast bis jetzt nicht mal reingeguckt” Nils schaute ihn verständnislos an. “Na ist doch nicht mein Eigentum.” “Du fährst seit einer Woche mit dem Ding in Deinem Auto rum und weiß nicht mal was drin ist, Herrgott?“ “So sieht’s aus.” Nils zog die Augenbrauen hoch. Er griff nach hinten und hievte den Koffer auf seinen Schoss. “Schwer ist der ja nich.” Nils fummelte an den Schlössern herum. “Lass das.” In dem Moment sprangen die Schlösser auf und Nils hob langsam den Deckel. Er spähte in den Koffer hinein und sog zischend die Luft ein.
“Scheiße! Da ist ja echt ein Kopf drin…”
© Leo-Schreibt 2022-05-01