Der Mann und der Ball (Viktoria 2)

Stefanie Sach-Friedl

von Stefanie Sach-Friedl

Story
Am Meer

Ich, Viktoria, sitze am Meer. Schon wieder, oder eher noch immer, nĂ€mlich seit fĂŒnf Tagen. Ich bin auf der Suche nach mir selbst, nach dem Ich, das nun ĂŒbrig ist, nachdem es kein Wir mehr gibt. Er hat mich nĂ€mlich verlassen, nach fĂŒnfzehn gemeinsamen Jahren, nicht absichtlich, sagt er, das, oder eben sie, ist ihm passiert. Und jetzt warte ich darauf, dass etwas passiert. Dass mir eine Erkenntnis oder Einsicht vor die FĂŒĂŸe geschwemmt wird, derweil ich die Aussicht genieße.

Aussicht, außen, im Außen.

Ich habe mal gelesen, man soll weniger im außen leben, sondern mehr im innen. Also sich mehr darum kĂŒmmern, wie es einem selbst geht und weniger, was andere von einem denken oder gar erwarten. Finde ich mit der Aussicht aufs Meer dann jemals mein Inneres, oder sollte ich mich eher wo verkriechen und einkuscheln? Der Versuch mich zusammenzurollen weckt bei mir eher das GefĂŒhl einer Schnecke und das bin ich mal definitiv nicht. Nein, nein, die Weite tut schon gut. Vielleicht ist es eher die Erweiterung meines Horizontes, die ich jetzt brauche. Bei mir bleiben und mit mir, ohne nach links und rechts zu blicken, hinaus in die Welt gehen.

Gehen, ging, gegangen.

Wir sind den Weg so lange gemeinsam gegangen, dass ich gar nicht mehr weiß, wie das ist, alleine zu gehen. Nachdem der Strand ja nicht nur aus dem einen Streifen vor dem Hotel besteht, beschließe ich, statt nur zu sitzen, zu schauen und zu warten, loszugehen. Auf die PlĂ€tze, fertig, los. Auf geht es in ein neues Leben, oder doch nur in ein mittlerweile ungewohntes? Ich war ja schließlich auch schon vor ihm einige Jahre alleine unterwegs. Ich versuche verzweifelt mich daran zu erinnern, wie das damals war. Ich nehme jetzt mal meine Studienzeit als Referenzzeitraum her. Jung erwachsen, aber immerhin schon erwachsen, in einer eigenen Wohnung, selbststĂ€ndig.

SelbstÀndig, ich selbst, stÀndig.

Ich denke, damals war ich zumindest stĂ€ndig ich selbst. Meine Schulfreunde haben alle andere Wege eingeschlagen, ich war alleine in der Stadt, an der Uni, da konnte ich nur ich selbst sein. Nach und nach habe ich mich natĂŒrlich mit den anderen Studierenden angefreundet. Bin ich da abgedriftet von mir, oder habe ich mich nur, passend zu meinem Selbst, weiterentwickelt? Ich hatte immer ein gutes GefĂŒhl, habe mich in meiner Haut wohlgefĂŒhlt. Das hĂ€tte ich doch gemerkt, wenn ich irgendwann nur mehr eine Kopie und nicht mehr das Original gewesen wĂ€re. So etwas spĂŒrt man doch, oder? Also muss ich vielleicht in mich hinein spĂŒren, um zu merken, ob ich noch ein Original bin. Ich schließe die Augen, spĂŒre die sanfte Meeresbrise im Gesicht, den Sand unter meinen FĂŒĂŸen und einen Ball in meinem RĂŒcken. Aua, was soll denn das? Ich drehe mich um und blicke in zwei schuldbewusste Augen, höre eine charmante französische Entschuldigung, also vermutlich, denn bevor ich richtig registrieren konnte was passiert ist, ist er schon wieder weg. Der Mann und der Ball. Ich bleibe zurĂŒck und frage mich was ich da jetzt alles spĂŒre.

© Stefanie Sach-Friedl 2025-02-07

Genres
Romane & ErzÀhlungen
Stimmung
Hoffnungsvoll, Reflektierend
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