Der Mann vom Friedhof

PolinaJägerOliverFahn

von PolinaJägerOliverFahn

Story

Der Tod thront über Rang und Namen. Ein Jeder muss hinabsteigen, bevor er auffährt. Ein mir von flüchtigen Unterhaltungen bekannter Friedhofsbesucher hat mich mit jener Überzeugung behelligt. Liege ich falsch, wenn ich in ihr eine hochgradig dumpfe Ausstülpung seines Neids entschlüssle?

Bis in die Gegenwart höre ich die über den Grabsteinen Gebückten, von Kreuzschmerzen Zerrütteten munkeln. Wir, die hierorts ersten auf dem Friedhof Getrauten, waren mit unserem Pioniergeist ein Stachel im Fleisch provinzieller Konformitätsdoktrin, ein Störfaktor für die moralische Integrität der Ortsansässigen.

Meine Falten, insbesondere am Hals ist die Haut überschüssig, zeugen von den Jahren, die seither vergangen sind. Unter der Krempe meines Stetsons verschanzt, komme ich täglich an die Umrandung des verwitterten Marmorklotzes und verweile so lange, bis die Besucher gewiss sind, ich wäre in meiner Positur zum Stein erstarrt. Meine Zehengelenke sind eingerostet, wenn ich Stunden später mit kaum angehobenen Sohlen davonwetze. Wenn ich eines Tages in diesem Grab liege, wird meine Nachwelt nicht umhinkommen, jenen Schleifton an den Kieseln zu vermissen.

Sobald ich die Bürste umklammere, die Erde mit Weihwasser besprenkle, zittern meine Hände. Ich führe Selbstgespräche, denn sorgfältig hingeredet verwischen sie die Schmerzen deiner Abgängigkeit. Ich kann den Schwall des mir weitgehend unvertrauten, mich mit seiner missglückten Wortwahl dennoch verstimmenden Menschen, einfach nicht vergessen, auch während ich die dir zugedachten Sätze murmle, so ausgiebig, bis sie im Geleier verwässern. Meine Suggestionen machen die Zeit ohne dich ertragbar, weniger zur Bürde.

Neuerdings hat dich ein Krückstock abgelöst. Meine Dichterin, meine unnachahmliche Muse, meine Liebe, irgendeinen Gefährten braucht jeder Mensch. Deinem mangelnden Instinkt für kleinbürgerliche Konventionen zürnte man. Deinen Eigentümlichkeiten war man imstande zu begegnen, indem man deinen Tod herbeisehnte. Endlichkeit, die du, die wir mit ihnen gemein haben, die ihres- wie unseresgleichen einholt, ist ihnen ein Trost für den Spätherbst ihres von Anbeginn klammen Daseins.

Bei deiner Beerdigung taten die dem Sarg Hinterhertrotteten betroffen, als erschüttere sie dein Ableben. Eine zu deinen Ehren gesungene Hymne war die Predigt des Pfarrers. Braucht es den Tod, um die Talente einer Person nicht gnadenlos zu verteufeln?

Wie ich sie seit dem Tag jener Unterredung allesamt verachte, die Nörgler aus dem Fußvolk, jene hinter ihren Gitterstäben aus Biederkeit hervorlugenden Spießer, die deine Werke ihrem Verdienst nach in angemessener Höhe erst rühmen konnten, als du Teil des Jenseits, ein Stern am Himmel des mir unerreichbaren Horizonts geworden bist.

Bis es an mir ist, dir nachzukommen, trösten mich ihre weißen, inhaltslosen Blätter, die Lebensläufe der uns Aburteilenden.

© PolinaJägerOliverFahn 2023-01-10

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