Der Maulwurf und der Schmetterling

Helmtraud Anzengruber

von Helmtraud Anzengruber

Story

Ein Schmetterling saß auf einer Blüte, genoss die warmen Sonnenstrahlen und freute sich über den herrlichen neuen Tag. Da, plötzlich bewegte sich der Boden neben der Blume. Was war das? Die schwarze Erde türmte sich auf, und siehe da, ein Maulwurf wühlte sich schnaubend und gehetzt aus dem dunklen Erdloch, um frische Luft zu tanken.

“Was bist du doch für einer?” fragte der Schmetterling verwundert. “Was treibst du unter der Erde, da ist es doch so finster und kalt?” “Ach, was verstehst du davon, du alberner Schmetterling! Sieh nur, diese vielen Erdhügel habe ich heute schon mühevoll aufgetürmt. Es ist so viel Arbeit, und alles ganz alleine”, krächzte der erschöpfte Maulwurf und wollte gleich wieder in seinem Loch verschwinden.

“Warte!”, rief der Schmetterling mitleidig. “Bleib doch ein wenig da und raste dich aus. Schau, die schöne Wiese, die blühenden Bäume und die herrlichen, warmen Sonnenstrahlen. Es ist wunderbar, dies alles zu genießen und fröhlich zu sein. Außerdem könnten wir ein wenig miteinander plaudern.”“Du bist ja verrückt, du Flügelträger!“ brummte der Maulwurf ungehalten und verständnislos. “Glaubst du, ich kann es mir leisten, den ganzen Tag in der Sonne zu hocken und zu schlafen, oder gar herumzustreunen und die schönen Blumen bewundern. Ich will etwas leisten und Erfolg haben. Ich will doch kein Faulpelz sein!”. “Faulpelz, was ist das?”, fragte der Schmetterling verwundert. “Ach, du bist ein Faulpelz”, fuhr der Maulwurf den Falter an. “Den ganzen Tag herumfliegen, auf den Blumen schaukeln, und den Herrgott einen guten Mann sein lassen. Ein Nichtsnutz bist du!”“Oh nein, du irrst dich“, sagte der Schmetterling betroffen. “Ich fliege von Blüte zu Blüte und mache sie glücklich, denn ich liebe sie alle. Selbst den Menschen bereite ich viel Freude. Wenn sie mich sehen, rufen sie sich zu: “Schau, dieser wunderschöne Falter!”. Dann bin ich der glücklichste Schmetterling der Welt!“.

“Pah, wunderschöner Falter”, sagte der Maulwurf verächtlich. “Das ist doch keine Arbeit und kein Erfolg. Sieh, ich grabe beinahe Tag und Nacht, das kann jeder sehen. Die Erde bleibt dadurch locker. Deshalb können deine Blumen so gut wachsen. Außerdem belästigt mich in meinen Gängen niemand, da bin ich mein eigener Herr, kann tun und lassen, was ich will. Ja, und Schönheit, Freude und glücklich sein überlasse ich lieber den Faulpelzen!”

“Na, dann tu, was du tun musst!” rief der Schmetterling, öffnete seine wunderschönen bunten Flügel und schwebte über die blühende Wiese davon. “Und noch etwas!”, rief er dem Maulwurf zu: „Hab Dank für deine Arbeit!“.

So hat jeder seinen Platz und seine Aufgabe in der Schöpfung. Der Wert liegt im “Sein und sein lassen“.

© Helmtraud Anzengruber 2021-03-05