von Julia Stankowiak
Ihr Handywecker klingelt. Sie dachte daran, endlich den Tageslichtwecker zu installieren, den ihr Papa zu Weihnachten geschenkt hatte. Mit dem Handy geht das so nicht weiter. Ich mache es heute, nimmt sie sich vor. Dann fiel ihr der Traum wieder ein. Sie hebt ihr Tagebuch vom Boden auf, kramt in der Weidenbox auf ihrem Nachttisch nach einem Kugelschreiber und schlĂ€gt die Seite mit dem Traum auf. Genau dieser eine Traum. Heute war es wieder so weit gewesen und es waren wieder neue Dinge vorgekommen.Â
Der Ruf des Windes war neu. Ebenso Teile des GesprĂ€chs und die GefĂŒhle, die dabei hin und her schwappten und die Sache mit der leuchtenden Stirn bei der Energieheilung.Â
Alter Falter, dachte Lisa. Das wird ja immer abstruser und magischer. Warum um Himmels willen leuchtete denn diese Wunde beim Reiki. Das tut es doch sonst nie. Also nicht so, dass man es sieht natĂŒrlich. WĂ€rme und Energie sind vorhanden, ja, aber geleuchtet hat es in Wirklichkeit noch nicht. Sehr komisch, denkt Lisa, was möchte mir das sagen? Und, ach, noch eine Sache war neu. Die Visitenkarte und die Tatsache, dass ich, also mein Traum Ich die ganze Zeit von einem Meermann faselte. Wieso Meermann? Was bedeutet das jetzt wieder. Meer ok, schon klar. Liebe zum Meer, aber Meermann. Wieder komisch.Â
Aufschreiben, sacken lassen, denkt sie sich und klappt das Tagebuch zu. Ich bin sehr gespannt, was das nÀchste Mal dazukommt. Dann taucht Ariel bestimmt auf. Sie lÀchelte. Das wÀre doch mal was.
Und dann fĂ€llt ihr noch der Ruf des Windes ein. So wunderschön, war das. Sie konnte es im Traum spĂŒren, als wĂ€re der Traum RealitĂ€t gewesen. Sie erinnerte sich sogar körperlich an den kĂŒhlen Wind, der aufkam. Lisa liebte diese TrĂ€ume, die in denen alles zum Greifen nah war und dabei so real als wĂ€re es in Wirklichkeit passiert. Dabei konnte sie die meisten TrĂ€ume allerdings lenken und mitentscheiden, was sie erleben möchte. Bei diesem wiederkehrenden Traum war es anders. Das GrundgerĂŒst des Traums war immer gleich, es kamen zusĂ€tzlich jedes Mal weitere Details hinzu. Und jedes Mal durfte sie noch intensiver fĂŒhlen und erleben. Lisa lieĂ sich zurĂŒck ins Kissen fallen und schloss nochmal fĂŒr einen kurzen Augenblick die Augen. Sie wollte noch einmal zurĂŒck ans Meer. Nur fĂŒr einen einzigen Atemzug das salzige Meer in ihren Lungen schmecken und den Wind im Gesicht spĂŒren. Sie atmete tief ein und hielt den Atem an, damit sich die Luft ganz in ihrem Körper und in ihrer Seele ausbreiten konnte. In diesen Sekunden dachte sie auch wieder an den Mann aus dem Traum und fragte sich, wer er sei und ob es ihn im echten Leben gab. Kurz tauchte sie erneut in seine dunkel blauen Augen ein, die sie so sehr an das tosende Meer erinnerten. Dann atmete sie aus, lieĂ die Luft langsam aus ihrem Mund entweichen, öffnete die Augen und lĂ€chelte erneut. Sie war bereit fĂŒr ihren Tag. Und bereit fĂŒr alles was kommen wollte. Heute und morgen und auch gewiss an jedem weiteren Tag. Wieso sie jetzt Dietrich Bonhoeffer zitierte, war ihr ein RĂ€tsel, aber genauso fĂŒhlte sie sich. Ein tiefes GefĂŒhl des Vertrauens breitete sich ĂŒberall in ihr aus.
© Julia Stankowiak 2024-09-19