von Harald Klingler
Ich war ein Eseltreiber aus der Nähe von Samarkand und wollte mit meinem Tier zum Markt gehen. Doch der Esel stemmte die Beine in den Boden und weigerte sich. Erst nach einer langen Zeit guten Zuredens und Zerrens am Strick schaffte ich es, das störrische Tier zu bewegen, den schweren Karren voll Gepäck zu ziehen.
Zwei Halunken und Tagediebe beobachteten uns und wollten meine Waren samt Esel klauen. So schmiedeten die Gauner einen Plan. Als ich bei einigen verfallenen Häusern Rast machte, um mich zu erleichtern, nahm einer der Halunken unbemerkt das Zaumzeug vom Esel und nahm die Rolle des Esels ein. Der andere verschwand mit dem Esel hinter einer Hügelkette. Als ich wieder zu meinem Karren zurückkam, blieb mir die Spucke weg! Ich stammelte verwundert: “Was …? Wo …? Wo ist mein Esel?!” Da sprach der Mensch im Zaumzeug des Esels zu mir und erklärte: ”Wundert euch nicht, oh Herr und Meister. Ich bin es, euer Lasttier. Hört sogleich meine Geschichte: Mein Name ist Hamad. Ich war früher ein schlechter Mann. Ich trank zu viel Wein und kam immer voll betrunken nachhause. Damit bereitete ich meiner Mutter viel Ungemach. Als es meiner Mutter endgültig reichte, verwünschte sie mich zum Esel. So musste ich als Packtier dienen und schwer arbeiten und bei dir viele Dienste tun. Meine Mutter hatte nun meinen Fleiß gesehen und erbarmte sich. Nun kann ich wieder ein Mensch sein.” Er grinste von einem Ohr zum anderen. Ich war erschüttert. “Oh Allmächtiger, wie habe ich dich die ganze Zeit geplagt und geschunden! Kannst du mir vergeben, oh Bruderherz?”, sprach ich und gab ihm als Entschädigung alles, was sich auf dem Karren an Waren befand.
Schnell eilte ich den ganzen Weg mit dem Zaumzeug bepackt heim zu meiner Frau und erklärte ihr, was geschehen war. Auch sie war erschüttert über diese Geschichte. Hatte auch sie das arme Tier geprügelt, wenn es mal wieder allzu störrisch war? Schnell eilte sie mit Münzstücken zur Moschee, um sie als milde Gabe an Bedürftige zu verteilen.
Mein Esel und meine ganzen anderen Sachen waren weg. Ich blies Trübsal und hatte nun schon seit Wochen keine Arbeit mehr. Als das Geld knapp wurde, ermahnte mich meine Frau und sprach: “Mein Mann, bitte tu irgendwas, wir haben bald nichts mehr zu essen!” So musste ich handeln und ging zum Markt. Dort erblickte ich zu meiner Überraschung meinen alten Esel wieder! Er wurde von einem Händler mit einigen anderen Langohren zum Verkauf angeboten. War Hamad wohl doch nicht brav genug geblieben und erneut dem Wein verfallen? So hatte ihn seine Mutter wohl erneut zu einem Esel verwunschen, so ein unverbesserlicher Kerl! Ich kannte nun seine Geschichte und nahm ihn kein zweites Mal in Dienst. Sollte er bei einem anderen Menschen buckeln!
Als ich etwas später gedankenverloren den Markt wieder verließ, sah ich zwei Männer in ein Gespräch vertieft bei einer Wasserpfeife sitzen. Ich hätte schwören können, dass einer der beiden wie Hamad ausgesehen hatte.
Sofia, 13 Jahre
© Harald Klingler 2023-02-16