von Gudrun
Ungefähr 150 m von unserem Haus entfernt an der Straßenecke war der Milchladen. Es war ein kleiner Laden. Frau B. verkaufte Eier, Butter, Käse, Mehl, Hefe und Milch. Damals gab es die Milch noch in großen Kannen aus Metall. Frau B. schöpfte die Milch mit einem Messbecher, halbliterweise in die vom Kunden mitgebrachten Milchkannen. Damals waren auch sie noch aus Blech. Man kannte kein Plastik. Der Käse wurde mit einem großen Messer am Stück abgeschnitten und in Butterbrotpapier verpackt. Ebenso wie die Butter von einem großen Block geschnitten und verpackt wurde. Wir gingen gerne mit der Mama einkaufen, es gab immer diese wunderbaren rosa Bonbons, die aussahen wie eine Himbeere und auch noch so schmeckten.
Im Ladenlokal daneben hatte Herr B. seinen Frisörladen. Dorthin brachte Mama uns zum Haareschneiden. Dann nahm uns Mama auf den Schoß und Herr B. schnippelte an unseren Köpfen herum. Im Sommer bereitete Herr B. jeden Tag frische Eiscreme zu. Dann stand er mit seiner Frau im Laden, meist am Nachmittag, und verkaufte das Eis. Es gab Vanille und Erdbeere. Gekühlt wurde die Eiscreme mit großen Eisblöcken, die jeden Tag von der Kühlbude geliefert wurde. Man hatte noch keine elektrische Kühltheke. Wir bekamen hin und wieder ein Zehnpfennigstück und durften uns ein Eis kaufen. Herr B. schaufelte mit einem Holzspatel das Eis großzügig in die Waffelhörnchen. Wir hatten schon bald herausgefunden, dass er dieselbe Menge Eis auch für 5 Pfennige ausgab. Also gingen wir zweimal am Tag Eis kaufen, jedes Mal für 5 Pfennige. Oft schickte Mama eines von uns Kindern mit einem Zettelchen zum Einkaufen. Dann sagte sie: „Ich zahle dann, wenn ich das nächste Mal komme „. Das richteten wir Frau B. aus, wenn wir unseren Einkaufszettel ablieferten.
Jahre später, als ich selbst ein Kind hatte, setzte ich diese Tradition fort. Mein Sohn war drei Jahre alt, und ich konnte ihn zum Laden schicken, um eine Kleinigkeit einzukaufen, die ich vergessen hatte, aus dem Supermarkt mitzubringen. Er war immer stolz wie Oskar, dass er diese Einkäufe alleine machen durfte. Zwischenzeitlich war der Laden vergrößert worden. Das Friseurgeschäft war aufgegeben und die Fläche dem Laden angegliedert worden. Herr und Frau B. waren in Rente, und der Sohn führte das Geschäft mit seiner Frau und seiner Schwester weiter. Eines Tages kam mein Sohn mit einer großen Plastiktüte nach oben in meine Wohnung. Ich hatte angenommen, er wäre bei seiner Omi im Erdgeschoss des Hauses. Auf meine Frage, was er denn in der Tüte habe, packte er stolz aus. Schokolade, Bonbons, Kaugummi, Chips und Flips. Auf meine Frage, woher er das alles hätte, sagte er: „Na, ich war einkaufen“. „Ja und wer hat das alles bezahlt?“ „Ich hab gesagt, die Mama zahlt’s dann“, und lachte mich fröhlich an. Ja, was soll ich sagen, da kann man einfach nicht böse sein. Allerdings habe ich im Laden dann darum gebeten, dass er nicht ohne Einkaufszettel bedient wird.
© nenegudrun 2023-05-17