von Birgit Sailer
Es gab ein Haus. Es gab ein altes Haus, in das sich der Moder eingenistet hatte. Und der Moder kroch vom Keller hinauf ins Erdgeschoß, indem die zauberhafte Marie wohnte. Und Marie wohnte also da zusammen mit dem Moder. Sie sagte immer: „Geh aus meinem Kopf hinaus!“, aber der Moder lächelte nur bösartig, ja beinahe schadenfreudig. Deshalb wurde Marie immer betrübter. Ihre Besucher blieben nicht lange, denn der Moder vertrieb sie unbarmherzig. Maries Kleidung duftete nicht nach frischer Sommerwiese, wenn sie sie zum Trocknen aufhing, denn sofort kroch der Moder in alle Fasern. Und ihr Freund hielt Marie mit ihrem Moder auch nicht aus. Er floh. Der Zauber verflog, Marie hatte verloren. Weil dies eine unerträgliche Ungerechtigkeit war, die beseitigt werden musste, habe ich die Katze Sima erfunden. Sie war schwarz und hatte einen weißen Schwanz. Die Katze Sima liebte das Verfolgen und Jagen. Sie verfolgte und jagte, alles. Auch Moder. Und so schlich sie ihm hinterher in jede Ritze, unter die Bretter, hinter die Kästen, zwischen die Bettbezüge, in die Fasern der Kleidung und zerstäubte diesen garstigen hinterhältigen Mitbewohner. Katze Sima war außerdem elegant in ihrer Erscheinung und darüber hinaus machte sie jeden glücklich, der sie streichelte. Binnen einer Woche war in Maries Haus der Moder weit zurückgedrängt und Marie selbst streichelte Tag für Tag die schwarze Katze mit dem weißen Schwanz, wurde zufriedener und glücklicher. Der Zauber kehrte zurück ins Haus. Ihre Wohnung duftete, sie konnte das erste Mal seit langem tief einatmen. Es war eine innere Freude das fabelhafte Gedeihen von Marie mitzuverfolgen.
Dann kam der Neid, der stets auf seine Chance lauert und er vergönnte Marie das kleine Glück nicht. Der Neid stachelte mich an, das frische Glück zu kolportieren. Also ließ ich die Katze Sima von Maries Haus verschwinden, und zwar einfach so: Die Katze Sima lief nach zwei Wochen fort. Und der Neid hüppfte und lachte: Marie war bitterlich traurig und zu Tode betrübt. Das Haus wurde wieder heimtückisch vom alten Moder eingenommen, der sofort bemerkt hatte, dass die Katze Sima fort war. Er kroch abermals in jede Ritze, unter die Bretter, hinter die Kästen, zwischen die Bettbezüge, in die Fasern der Kleidung. Und irgendwie kroch er auch in Marie. Sie wurde fahl und grau im Gesicht, atmete kaum noch und das Glück verschwand, verpuffte, zerplatzte. Ich hatte es ihr genommen und dem Moder zu neuem Leben verholfen. Und weil es sich miserabel anfühlte, Komplize zu sein und dem Neid beim Zerfressen eines Lebens geholfen zu haben, ließ ich den Moder auch in mich hinein. Er kroch in meine Lunge, nistete sich in den Lungenbläschen fest ein und zerstörte nun auch mich. Ich hatte es nicht anders verdient!
So erzählte es der Autor und erstickte auf der Stelle.
© Birgit Sailer 2021-09-26