Freitag, der 13. und ich habe frei. Ein Horrortag für abergläubische Menschen, zumal die Pandemie im März auch an einem Freitag, den 13. viral wurde. Für mich ist es aber der Tag meiner ersten Lesung vor Publikum. Überraschend und ungeplant. Ehe die Denunzianten die Polizei rufen – ich hatte nur einen Zuhörer (genötigt)!
Mama pflegt und betreut ihren Mann seit über vier Jahren liebevoll. Ist immer für ihn da. Aber heute will sie auf ein Begräbnis gehen und braucht jemanden, der Papa mit seinen bald 87 Jahren Gesellschaft leistet. Papa lebt gedanklich meist in seiner eigenen Welt, was nicht heisst, dass er nicht mitbekommt, was um ihn herum passiert. Er reagiert, lächelt und ist immer guter Dinge. Und er bedankt sich für alles. Gespräche aber verlaufen einseitig, es gibt einen Erzähler und einen Zuhörer. Papa ist immer der Zuhörer.
So sitzen wir am Esstisch in der Küche, er in seinem Rollstuhl, ich ihm schräg gegenüber und füttere ihn mit kleinen Marmeladenbroten. Er isst nicht mehr viel und wenn, dann vor allem Süßes. Dazwischen nippt er am Kaffeehäferl und starrt desinteressiert auf den Bildschirm. Ich schalte den Fernseher aus (Experte Nr. 1 erläutert grade, warum auch die Schulen und Kindergärten „gelockdowned“ werden müssen, während Experte Nr. 2 das Gegenteil behauptet) und hole meine Story.one-Bücher.
Ich greife mir eines, schlage auf und beginne vorzulesen. Als ich geendet habe, frage ich Papa, ob es ihm gefallen hat. Er sagt Ja. Ich frage, ob ich ihm noch eine Story vorlesen soll und er sagt Ja. Also lese ich weiter, während ich ihm noch ein Marmeladenbrötchen in den Mund schiebe. 2-min-Stories sind praktisch. Die Themen gehen quer durchs Gemüsefeld, so unterschiedlich, wie es auch die Autoren und Autorinnen sind. Und Papa bejaht sie alle, er nimmt sie, wie sie kommen.
Das “Random Reading” führt kreuz und quer durch das halbe Dutzend schmale Büchlein, die ich eingetauscht oder gekauft habe. Papa ist cool. Er fragt nie nach, lächelt wenig, aber immer, wenn ich ihn frage, ob ich fortsetzen soll, bejaht er energisch. Der perfekte Zuhörer: nie unhöflich, haut nicht heimlich ab (wäre auch schwer im Rollstuhl), stellt keine blöden Fragen, äußert keine verletzende Kritik, schnarcht nicht während der Lesung und will kein Buch geschenkt bekommen. Dass er kein Autogramm will, nehme ich ihm nicht übel. Mein erstes Buch ist ihm und Mama gewidmet. Ich bin sicher, auf Story.one würde ich von ihm ein Herzerl bekommen!
Die Heimpflegerin der Caritas, eine der stillen Heldinnen des Alltags und Papas tägliches Date, fährt vor. Schnell noch eine Frage: Papa, denkst Du, ich verdiene den österr. Buchpreis? Oder gar den Literatur-Nobelpreis? Papa nickt kaum merklich und sagt Ja.
Handverlesene Stories aus: Bayerl Monika, Erzähl mir von den Trumer Seen; Lo Padi, Mach den Mund auf!; Fenninger Kristina, Oh what a colorful life; P. Achleitner Klaus, Kunterbunte Geschichten; Stadler Helga, Digitale Drama-Queen; Steiner Hannes, #salzburglove
© Klaus P. Achleitner 2020-11-13