von Gertrude Friese
Von der schmalen, buchenüberkrönten Straße auf dem stillen Stadtberg zweigt die Zufahrt nach links oder je nach Näherkommensrichtung, nach rechts ab und duckt sich unter dem Steinbogen durch. Leicht geneigt führt sie in weichem Schwung weiter bis zu einem turmartigen Schlössl, zwar ritterlich herabschauend aber gutbürgerlich bewohnt. Ich bleibe vor dem Bogen stehen, über den sich ein grauer Mauerkubus erhebt, der mir unbewohnt erscheint. Er strahlt nichts aus, kein Licht an jenem nebligen Novembertag wo es drinnen doch ziemlich düster sein muss. Verlassen wirkt das Pförtnerhaus, es muss daher innen so kalt sein wie der nebelfeuchte Platz davor.
Denn er wohnt schon lang nicht mehr hier, der Dichter, ist längst umgezogen in die Niemandsbucht, die vielleicht nur durch ihn selbst zu verorten ist, auch wenn er viel darüber geschrieben hat, dieser laute Stille, dieser Feinsinnige, bisweilen aber auch aus Ungeduld Heftige, dieser Graveur unter den Sprachmalern, dessen Heere von Bleistiften aufrecht in die Öffentlichkeit gespitzt sind als Palisaden um einen dahinter gesammelten tiefen Geist.
Der Dichter kennt die Welt, denn ein ewig Reisender ist er, selten in Geschichten, meistens in unerreicht meisterliche Betrachtungen verstrickt. Es sind Neubeschreibungen, sich abschreibend am Fantastischen, an das glauben muss, wer sich ihm aussetzt. Der Dichter verlangt dem Leser vielleicht noch mehr Fantasie ab als er selbst in sein Schreiben einfließen lässt. Er mutet sich dir zu, erschöpft dich, hast du die Lektüre seines Textes unverstanden hinter dir gelassen. Er bereichert dich aber um tausend neue innere Bilder, die, hast du selbst Fantasie, in dir laufen lernen, dich bereichern.
Des Dichters Lebensorte kenn ich nicht, bis auf das Pförtnerhaus sind sie mir alle fremd. Seine persönlichen Örtlichkeiten schnurren in mir dorthin zusammen wie in ein Schwarzes Loch, in dem der ganze Dichter ewig festgehalten ist und so mir nie entkommen soll. Das bleibt ja Teil meiner ersten 25 Jahre, auch wenn ich selbst den Ort gewechselt habe.
© Gertrude Friese 2019-12-11