Der Problem-Weihnachtsbaum

Reinhard Pape

von Reinhard Pape

Story

Mit den Kindern haben wir gemeinsam in einer Schonung einen Weihnachtsbaum ausgesucht, mühesam abgesägt und nach Hause transportiert.

Wir wohnen in einer hübschen Altbauwohnung im zweiten Stock eines Hauses aus dem Jahr 1886. Ohne Probleme habe ich den Baum durchs Treppenhaus nach oben getragen. – Im Wohnzimmer bei stimmungsvoller Weihnachtsmusik versuche ich den 2m Baum aufzustellen. Immer wieder ein Krampf mit dem Weihnachtsbaumständer und seiner Mechanik. Es klappt nicht, der Stamm des Nadelbaumes ist zu dick.

Mit einer Säge versuche ich den Stumpf schmaler zu schneiden. Autsch, ich bin abgerutscht und der Finger blutet heftig. Schnell renne ich ins Badezimmer und halte die Hand unter die Wasserleitung. Etwas erschrocken bin ich schon, was mir da passiert ist und starre auf die klaffende Wunde. Rotgefärbtes Wasser verschwindet im Abfluß. Ob ich vorher zu wenig gegessen habe oder mein Hypochonder-Gen durchschlägt. Ich spüre einen aufkommenden Schwindel und stürze in die dahinterliegende Badewanne. Eine kleine Ohnmacht hat mich erwischt.

Glück im Unglück, dass ich nicht mit dem Kopf auf unsere Heizung geknallt bin. Nachdem ich wieder im Diesseits war, hat meine liebe Frau mir den Finger verbunden und ich konnte den schmalen Baumstumpf in den Ständer einsetzen. Laut und freudig haben wir dann später “Oh Tannenbaum” gesungen. Alles ist wieder Heiligabend vergessen – aber die Erinnerung bleibt.

Ein paar Jahre später schleppe ich wieder ein Prachtstück die Treppen hoch. Angekommen im Wohnzimmer und in all‘ seiner Pracht aufgerichtet stelle ich fest, dass die Augen draußen im Wald größer waren als der Baum jetzt in unser Zimmer paßt. Säge her und kürzen. Mit dem ersten Schnitt sind alle noch nicht einverstanden, das war zu wenig. Beim zweiten Schnitt war es dann aber zuviel. Verdammt! Weshalb ich nicht vorher mit dem Zollstock alles abgemessen habe, gehört zu den Geheimnissen meines Lebens. Ich besorge einen kleinen Tisch, auf den dann der gekürzte Tannenbaum prächtig stehen kann.

In den Folgejahren, die Kinder sind schon aus dem Haus, haben wir uns einen Baum im Gartenmarkt gekauft. Statt der Waldromantik gab es hier Glühwein und leckeren Stollen dazu. Das ist dann zur Gewohnheit geworden. Sägeprobleme Zuhause gab es bei den kleinen Bäumen nicht.

Noch später sind wir dann fast “auf den Hund” oder besser auf Aldi gekommen. Da wir meistens bei den Kindern eingeladen sind und Anfang Januar auch verreisen, haben wir immer schon Anfang Dezember bei Aldi zugeschlagen, wenn es einen fertiggeschmückten Mini-Baum zu kaufen gab, den wir dann vor unsere Balkontür gestellt haben. Nicht so romantisch aber OK.

Handwerkliche Alternativen in der Wohnung gab es Zuhauf mit der Anbringung von Leuchtsternen an den Fenstern oder die Befestigung von Leuchtketten an den Balkonkästen. Allein die Kletterei auf der Trittleiter ist dabei gefahrvoll, blutende Finger oder fehlende Zollstöcke spielen gottlob keine Rolle mehr.

© Reinhard Pape 2020-12-18