Der Pulli von Heidi Zimmermann

Maria Büchler

von Maria Büchler

Story

In unserer Familie wurde sehr gespart, auch bei den Kleidern. Jedes abgelegte Stück Stoff wurde verwertet. Wenn es zu nichts anderem mehr taugte, kam es in den Sack für die Fleckerlteppiche.

Zum Glück war meine Mutter sehr geschickt, hatte uns von klein auf sogar die Mäntelchen genäht. Mit den handgefertigten Sachen war ich als Teeny aber nicht immer so glücklich. Die Modelle kamen zwar aus den Burda-Heften, aber die Länge entsprach Mutters Anstandsempfinden und nicht der Mode. So krempelte ich die Röcke halt zweimal um, sobald ich ausser Sichtweite des Elternhauses war. Und natürlich wurden keine Hosen genäht, erst recht keine Jeans, die damals gerade aufkamen.

Meine Taufpatin war mit Heidi Zimmermann befreundet, der damaligen Skirennläuferin und Olympiasiegerin. Sie war die Schwester von Egon und Edith Zimmermann. Die Geschwister haben zusammen mit drei anderen aus dem Skizirkus dazu beigetragen, dass Lech a. A. bis heute das Dorf mit den meisten Olympiasiegern ist. Die Namen Othmar Schneider, Trude Jochum-Beiser und Gerhard Nenning kennt sicher der eine oder die andere von euch.

Um unsere Familienkassa zu entlasten, bat Gotta ihre Freunde um abgelegte Kleidung, und so kam ich zu schicken Secondhand-Sachen. Das war auch das einzige Mal, dass ich mich über bereits getragene Kleider freute.

Sehr unglücklich war ich aber, als es um den Tanzkurs-Abschlussball ging und ich ein abgelegtes Kleid unserer Nachbarin tragen musste. Die nette Frau wusste von unseren Nöten und half gern. Das Gewand war zwar schnell auf meine Grösse umgeändert, aber leider so derart altmodisch!

Während die anderen Mädchen schmal geschnittene oder leicht schwingende Kleider im Metallic-Look trugen, kam ich wie ein bunter Vogel daher. Der Stoff in Gelb, Braun und Schwarz war übersät mit grossflächigen Blumen, der Rock angekraust und wiederum überlagert von durchsichtigem, ebenso gemustertem Organza. Ich war bestimmt der Spatzenschreck des Abends.

Ganz schlimm daran aber war, dass meine erste grosse und leider verflossene Liebe Bernd samt dem Mädchen, für das er mich verlassen hatte, mit im Saal sass. Da sie aus vermögendem Haus stammte, war sie natürlich topmodisch gekleidet.

Bei der ohnehin fürchterlichen Polonaise musste ich wiederholt an ihnen vorbeimarschieren. Dabei habe ich wahrscheinlich ein so grantiges Gesicht geschnitten, dass unser Klassenvorstand mich fragend anblickte und dabei meine tief herabgezogenen Mundwinkel imitierte.

Freude hatte ich jedoch mit einem schneeweissen Leinenkleid, das mir die Mutter im Hinblick auf die kommende Matura geschneidert hatte. Es war ärmellos, ganz schmal geschnitten, mit weitem Stehkragen à la Jackie Kennedy. Weil ich immer schnell gebräunt war, hob sich dieses Weiss recht wirkungsvoll von meiner Haut ab. Sogar Bernd machte mir ein Kompliment, als er mir einmal zufällig über den Weg lief.

Aber der Kamelhaarpulli von Zimmermanns war das Highlight in meinem Kleiderschrank.

© Maria Büchler 2020-08-21

Hashtags