Der Punkt.

Anna Theresa Schreiber

von Anna Theresa Schreiber

Story

Die nĂ€chste Story sollte relevant werden. Oder schön. Oder beides. Und ich hĂ€tte solche Geschichten auf Lager. Leider hatte ich keine Zeit sie zu schreiben, der Grund wird in dieser Story geschildert. Sie ist nicht schön, sie ist nicht relevant, sie ist lediglich absurd. Nein, es geht leider nicht um die AbsurditĂ€t der Existenz. Sondern um die AbsurditĂ€t der BĂŒrokratie. Auch das könnte relevant sein. Wenn ich diese Zeilen nutzen wĂŒrde, um bĂŒrokratische Systeme zu kritisieren. Doch es geht nur um einen wichtigen Punkt. Eine Story ĂŒber einen Punk wĂ€re sicher spannender, diese hier handelt aber nur von einem Satzzeichen.

Mein Hang zur Ästhetik wurde mir in der HochschulbĂŒrokratie nĂ€mlich beinahe zum VerhĂ€ngnis. Im Titel meiner Bachelorarbeit kamen zwei Punkte vor:

„UnterdrĂŒckung ĂŒberwinden. Iris Marion Young und Simone Weil im Vergleich.“

.

Das ist ĂŒbel, oder? In welcher Überschrift gibt es denn bitte Punkte? Ich weiß nicht mehr genau, woher sie kamen. Den ersten Punkt jedenfalls hatte meine Gutachterin irgendwann in einer ĂŒberarbeiteten Version meines Themenvorschlags auftauchen lassen. Ich akzeptierte ihn als Alternative zum Gedankenstrich. Der zweite Punkt aber ist mir ein RĂ€tsel. Er tauchte ungefragt auf, frei nach dem Motto: „Ein Punkt kommt selten allein“. Jedenfalls gab es bei im offiziellen Titel diese zwei Punkte. Den ersten Punkt ĂŒbernahm ich als gegeben, der zweite war eine NervensĂ€ge.

Er brachte mir die Formatierung des Deckblatts durcheinander, sodass aus einem Titel mit zwei Zeilen dank dem grĂ¶ĂŸenwahnsinnigen Punkt drei Zeilen wurden. Änderte ich die SchriftgrĂ¶ĂŸe, wurde die Überschrift zu klein. Ich redete mir ein, so ein Punkt könne unmöglich wirklich zum offiziellen Titel zĂ€hlen. Also behielt ich die (Ă€sthetische!) Version der Überschrift mit nur einem Punkt und zwei Zeilen bei.

Doch die Stunde der Vergeltung, die Rache des Punktes sollte kommen! Ich erhielt eine freundliche Mail vom Fachbereich, dass ich die SekretĂ€rin vom PrĂŒfungsamt so schnell wie möglich darum bitten sollte, den Punkt doch noch hinzuzufĂŒgen. Zum GlĂŒck konnte ich sie noch erreichen. Alternativ hĂ€tte ich einen Antrag auf „TitelĂ€nderung“ stellen oder ein neues Deckblatt erstellen und einreichen mĂŒssen. HĂ€tte ich gar nichts unternommen, so hĂ€tte der fiese Punkt meinen ersten akademischen Abschluss gefĂ€hrdet!

Bei jedem anderen Satzzeichen ist ja ersichtlich, dass es in Überschriften einen inhaltlichen Unterschied macht. Ein Fragezeichen oder kein Fragezeichen? Durchaus eine bedeutende Frage. Aber ein Punkt?!

Und – Ironie des Schicksals – schrieb mir heute ein wunderbarer Mensch zwei neue Nachrichten. Die eine Nachricht war sehr lieb – aber die andere Nachricht 
 bestand nur aus einem Punkt. Dabei hatte ich ihm noch gar nichts von meiner heutigen Satzzeichen-Paranoia erzĂ€hlt. Konnte das ein Zufall sein? Nein, denn der Punkt verfolgt mich tatsĂ€chlich. Punkt.

© Anna Theresa Schreiber 2022-09-14

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