Ich oute mich hiermit höchst offiziell: Hippies waren immer voll mein Ding! Ich finde alles toll an ihnen. Ich habe nachts sogar davon geträumt in der Zeit zurückreisen zu können, um die One-Love-Revolution von Anfang an hautnah miterleben zu können. Ich stelle mir eine Welt, in der alle wie Hippies denken, sprechen, fühlen und handeln traumhaft friedvoll vor. Ich selbst wurde nicht nur einmal gefragt, ob ich nicht lieber ein Hippie wäre anstatt ein immer wütender Punk. Ich habe die Frage anfangs nie so ganz verstanden, weil ich zwar immer viel über Punks und Punkkultur gesprochen habe, ja auch immer viel wütend war, aber eigentlich stets angenommen hatte, dass ich mit meinen Dreadlocks auf dem Kopf genügend verkörpern würde, dass ich im Herzen eigentlich ein friedvoller Hippie bin. In den Augen der anderen war ich das jedoch nicht, wohl immer nur ein Möchtegern-Hippie. Warum? Weiß ich nicht, aber vielleicht hätte ich, um als authentischer Hippie gelten zu können, zusätzlich noch mein Gesicht mit Henna bemalen und im Alltag und der Arbeit Hippie-Kleidung tragen müssen, hätte am Wochenende auf allen möglichen unterschiedlichen Drogentrips unterwegs sein und jeden Tag freie Liebe betreiben müssen. So bin ich aber nicht und das will ich auch nicht sein und das hat meiner Meinung nach auch nichts mit Hippietum an sich zu tun. Hippies wollten immer nur absolute Freiheit – es ging ihnen darum, dass wir in eine Lage versetzt werden, in welcher wir eigenständig unsere Fesseln lösen und autonom Entscheidungen treffen können und was macht die Gesellschaft im Gegenzug mit Menschen wie mir? Sie legt uns neue Fesseln an, indem sie nicht wahrnehmen will, dass wir alle unterschiedlich sind. Wenn ich wollen würde, könnte ich doch auch einen Anzug und Glatze tragen und mich trotzdem als Hippie bezeichnen, solange ich andere mit meiner Lebensweise nicht schneide und verletzte. Doch ich glaube, dieser Umstand ist zu simpel, erst recht in dieser unfassbar komplizierten Welt. Bekanntlich sind auch die einfachsten Dinge die schwersten zu begreifen. Wir sind in der Lage ins Weltall zu fliegen, Krebs zu heilen und Tiere zu klonen, aber wir haben verlernt unsere Augen zu öffnen. Wir haben verlernt hinzusehen, bedingungslos anzunehmen und einfach zu lassen – das Leben zu lieben und im ständigen Austausch zu betrachten. Wir haben anscheinend so eine große Angst davor echte Gefühle zuzulassen, dass die Angriffe auf Hippies und ihrer Kultur der Liebe als unausweichliche Schutzreaktion erscheinen.
Nach acht schrecklich schönen Jahren ist meine Hippie-Ära nun jedoch endgültig vorbei, obwohl ich immer gesagt hatte, dass ich irgendwann eine alte runzlige Rasta-Oma mit bodenlangen silbernen Dreads sein werde, die ihren Lebensabend auf einer verlassenen Insel verbringen wird. Einerseits bin ich froh darüber nach Außen nicht mehr als Hippie in Erscheinung zu treten, da ich nun insgesamt weniger angreifbar bin. Ich bin kein Schmuckstück mehr mit welchem sich andere aufwerten können. Ich werde nicht mehr gefragt, ob ich mir ein Stück meiner Haare abschneiden könnte, damit andere sie verwerten können. Andererseits bin ich einfach nur endlos traurig darüber, da mir dadurch auch irgendwie ein Stück Identität genommen wurde und ich nun für andere Menschengruppen zum Zielobjekt geworden bin, die früher vorneweg durch meine Frisur abgeschreckt wurden. Mir fehlt mein Schutzpanzer. Mir fehlt radikale Sicherheit.
© TaliaCriticalMuse 2023-08-17