Der „Roche Tremblante“

Thoralf Probst

von Thoralf Probst

Story

Ich bin kein Freund von langen Wanderungen, schon gar nicht bei dieser Hitze. Mittlerweile fühlte ich mich, als wäre ich Stunden in der Sahara unterwegs. Das Thermometer hatte bereits wieder die 30 Grad Marke passiert. Vom Ziel der Familienwanderung war aber noch nichts zu sehen.

Im Reiseführer las sich das so:

„Roche Tremblante“ (Schwankender Fels): Dieser über 100 Tonnen schwere Fels ruht auf einem schmalen Grat, sodass man ihn, wenn man die richtige Stelle findet, zum Schwanken bringen kann.

Den Schweiß von der Stirn wischend sagte ich mit gespieltem Ärger:

„Irgendwo muss er doch sein!“

Unsere Tochter war ebenso ungeduldig.

Meine Frau, ließ aber keine Missstimmung aufkommen. Fröhlich rief sie:

„Hinter der nächsten Biegung sollte er sein.“

Sie hatte recht.

Der Roche Tremblante war ein beeindruckender, etwa kleinbusgroßer Quader aus Granit.

Ich schaute genauer in die Runde der neben dem Felsen sitzenden Wanderern. Es mögen etwa zwanzig Leute gewesen sein, die hier Rast machten. Von Zeit zu Zeit versuchte ein Neuankömmling, den Stein in Bewegung zu versetzen. Geschafft hatte es bisher niemand. Ich machte ein paar Fotos.

„Los Papa jetzt du!“

Meine Mädels schauten erwartungsvoll.

Ich war nicht scharf darauf, mich hier zu blamieren. Andererseits reizte es mich schon, es den Leuten ringsum mal so richtig zeigen. Der Prospekt sprach von der „richtigen Stelle“. Aber wo sollte man anpacken, geschweige denn greifen oder stemmen?

Es muss ziemlich hilflos ausgesehen haben, als ich mich mit klatschnass verschwitztem T-Shirt und schweißsträhnigem Haar mit den Händen bald hier, bald dort gegen den Granitblock stemmte. Es bewegte sich nichts.

Einer Eingebung folgend blickte ich in die Touristenrunde, wartete auf das Abebben der Gespräche und sagte dann vernehmlich laut:

„Ach ja, diese Franzosen wollen uns doch veralbern. Ich glaube, der Stein bewegt sich keinen Millimeter.“

Kaum hatte ich ausgesprochen, erhob sich ein etwas Abseits sitzender junger Mann und ging federnden Schrittes auf den Monsterstein zu. Er brachte sich in die wohl einzig richtige Position und … voilà! Der Koloss wackelte bzw. kippelte tatsächlich.

Es gab ein paar „oh“ und „ah“ der Touristen und ich klatschte Beifall. Die anderen klatschten mit. Der junge Mann setzte sich stolz wieder hin. Der Typ war ganz sicher nur da, um die ungläubigen Touristen zum Staunen zu bringen.

Nun kam mein Auftritt. Ich bewies, dass ich natürlich auch in der Lage war, so einen lumpigen Kiesel zu bewegen. Bei der Vorführung des französischen Sportsfreundes hatte ich gut aufgepasst, sodass ich schnell die richtige Haltung fand, die Muskeln anspannte und …

Der Roche Tremblante tat seine Pflicht. Geklatscht hat bei mir allerdings keiner. Meine Frauen nickten aber zumindest anerkennend.

Jetzt fragen sie sicher, welches die „richtige Körperhaltung“ ist?

Nun, machen sie einfach mal Urlaub in der Bretagne. Der Felsen und vieles mehr wartet auf sie. Es ist wunderschön dort.

© Thoralf Probst 2021-03-01