Der rote Faden

Doris Neidl

von Doris Neidl

Story

Begonnen hat alles damit, dass ich vor vielen Jahren im Jänner auf einem Perserteppich in der Schweiz gezeugt wurde. Die Legende sagt, dass mein Vater Angst hatte, dass ich vielleicht einen Schaden haben würde, weil er angeblich einen Schwips hatte. Was sich jedoch als durchaus unbegründet herausstellte. Eigentlich, kann ich sagen, habe ich persische Wurzeln. Es gibt auch noch eine andere Variante meiner Zeugung, nämlich die, dass ich vom Frauenarzt bin. Also Schweizerin. Meine Mutter bekam bei einer gynäkologischen Untersuchung eine Narkose und war dann schwanger. Beides fand ungefähr zur gleichen Zeit statt, der Sex auf dem Perserteppich und der Arztbesuch.

Das erinnert mich an „Der Scherz“ von Milan Kundera, in dem von einem Frauenarzt erzählt wird, der allen Frauen im Dorf, die kein Kind bekommen konnten, eigentlich deren Männer keines bekommen konnten, ein Kind machte und alle Leute in diesem Dorf daher gleich aussahen. Aber meine Eltern konnte ja offensichtlich Kinder bekommen, sie hatten ja schon zwei, ausschauen tue ich auch wie niemand im Dorf, und deshalb ist diese Variante eher unwahrscheinlich. Die Perserteppichgeschichte finde ich ohnedies total romantisch. Gäbe es auch eine Küchentischvariante, wüsste ich nicht, welche mir lieber wäre. Das hat schon noch immer etwas Verwegenes, es am Küchentisch zu tun.

Die Zeugungsgeschichten in unserer Familie sind oftmals ohnedies komisch. Zum Beispiel hatte die Tini, die Schwester meiner Großmutter, eine unbefleckte Empfängnis. Sie hatte keinen Sex mit dem Hias, in dem Sinne, also, wenn ich das so sagen darf, sie hatten keine Penetration, sie war aber dann trotzdem schwanger. Der Hias, wie der Name schon sagt ein Hiasl, konnte sich so etwas aber nicht vorstellen und hat den Walter niemals als Kind anerkannt. Als „Schlafgeher” ist er aber trotzdem ein Leben lang gekommen und die Tini hat das akzeptiert, was ich nie verstehen werde, weil meine Oma und ihre Schwestern eigentlich, für frühere Verhältnisse, emanzipierte Frauen waren. Immerhin führten sie ein Gasthaus, einen Bauernhof und eine Fleischhauerei allein. Ich kann mich noch erinnern, wie Tini schwer krank war. Sie lag in einem kleinen Zimmer, über ihr ein Kreuz und immer, wenn sie etwas sagen wollte, musste sie auf ihre Kanüle drucken, die im Hals steckte. Meine Mutter behauptet ja, dass das nicht wahr ist, dass es so ein kleines Zimmer mit einem Kreuz nicht gegeben hat. Aber ich weiß es ganz genau. Du mit deiner Fantasie, meint meine Mutter.

Die Rosi, die andere Schwester meiner Großmutter, hat ihr Kind ganz normal gezeugt, aber halt mit dem Mann meiner Oma. Vor lauter schlechtem Gewissen und Scham weinte sie, als sie merkte, dass sie schwanger war, so sehr und herzzerreißend, dass sie bis zum Plafond hinauf geschleudert wurde. Dazu muss ich aber sagen, dass sie in einem Bauernhaus wohnte und die Decken dort nicht sehr hoch sind. In einer Altbauwohnung in Wien wäre das wahrscheinlich nicht möglich.

© Doris Neidl 2021-03-02