von Franziska_Dierl
Ach herrje!
Die Schale ist hin. Die weiĂe Schale mit den blauen Eulen und dem roten Pfau, aus der ich frĂŒh am Morgen MĂŒsli und manches Mal zu Mittag eine Suppe löffle, war ein wunderbares Geschenk meiner Freundin Maria. Und nun liegen die Scherben beinahe friedlich auf meinem groĂen Tablett. Aber zuvor ging’s hier rund.
Ich stand vor dem Spiegel, mit strengem Blick mich taxierend. Aus meinen Lippen perlten Sprachjuwelen: „Du blöde Gurk’n!“
Schnell das Fenster geschlossen. Es reichte, wenn ich hörte, was ich mir zu sagen hatte. Zeugen meiner Anklage brauchte ich jetzt nicht.
„Du dumme Nuss!“ Meine Augen funkelten finster. Weitere böse Worte sprudelten aus mir heraus. „Du depperte Kuh!“ war noch das Harmloseste. Ich spĂŒrte den Zorn auf mich selbst. Ich hörte die Worte. Und plötzlich sah ich in meinem Blick etwas Vertrautes, eine Erinnerung, die mich irritierte. Papa?!
TatsĂ€chlich, Fany – Du hast denselben Blick wie er. Und merkst du was? Du sprichst wie er. Verwendest seine Worte der Wut, des Zorns, der Ohnmacht, und der ĂŒbergroĂen Seelenpein, die ihn zeitlebens quĂ€lte.
Und dann ĂŒberfiel mich ein Schmerz. Zum ersten Mal seit Jahren, so schien mir, vermisste ich meinen Vater. Und die Möglichkeit, mich von ihm umarmen und trösten zu lassen. Und ich spĂŒrte die Sehnsucht, ihn zu umarmen und zu trösten, ob all dem Schrecklichen, was er erleben hatte mĂŒssen.
„Ich glaube, du hast dich erschreckt.“ sagte ich zu meinem Spiegelbild, in dem ich nun meinen Vater sah. Die Augen im Spiegel, sie blinzelten.
„Ja, so ein Radau!“ antwortete das Spiegelbild.
„Das hat so laut geklirrt, als die Schale auf den Steinboden gekracht ist. Tut mir leid.“ sagte ich.
„Oh je, ist sie hin?“
„Ja“, antworte ich, „die ist hin. Da ist nichts zu machen.“
„Oh je, die hat Dir Maria geschenkt.“ sagte mein Spiegelbild. Ich spĂŒrte TrĂ€nen und hörte mich schluchzen: „Ja! Und ich hab sie jeden Tag benĂŒtzt, ich kann nicht mehr aus irgendeiner anderen Schale frĂŒhstĂŒcken.“
„Ja, klar.“ sagte mein Spiegelbild. Mir schien, es grinste.
„Und ich schĂ€m‘ mich so.“ sagte ich. „Wie kann ich das Maria erklĂ€ren?“
„Na, dann muss die Schale eben repariert werden.“
„Aber das geht doch nicht.“
„Schau ma mal!“ sagte mein Spiegelbild. „Wo sind denn die Scherben?“
„Die hab ich in den MĂŒlleimer geworfen, ratzfatz, vor lauter Wut auf mich selbst.“
„Dann fisch‘ sie raus.“ sagte das Gesicht im Spiegel, „Ărger‘ dich nicht, schlimmer warat a Hax’n broch’n!“ Papas bester Satz. Der Trost fĂŒr alle Lebenslagen.
Ich schĂŒttete den Inhalt des MĂŒlleimers auf ein Tablett, fischte mit spitzen Fingern Scherbe fĂŒr Scherbe aus dem Durcheinander und befreite die Scherben von Karotten- und Eierschalen.
So war das.
Und nun wird eine Meisterin der japanischen Kunst des Kintsugi â Reparieren von Keramik â um Hilfe gebeten. Die SprĂŒnge, die ich durch meine Tölpelei verursacht habe, mögen sichtbar werden.
Denn, so sagen die Kintsugi-Meister:
Das wahre Leben der Schale begann in jenem Moment, als sie zersprang.
© Franziska_Dierl 2020-02-29