Der schlimmste Tag meines Lebens

Yasmin Hassanin

von Yasmin Hassanin

Story

Ich erzähle euch, warum ich Rettungssanitäterin geworden bin und warum ich es heute noch bin.

Wie ich dazu gekommen bin, ist wahrscheinlich eine der unspektakulärsten Geschichten, die man dazu erzählen kann. Kein Heldentum, kein Helfersyndrom, keine in die Wiege gelegte Berufung. Einfach nur… Langeweile. Als ich mit dem Studium aufgehört und nach einem Job gesucht habe, war mir einfach fad. Eine Jobzusage hatte ich schon, doch ich musste fast 2 Monate warten, bis ich anfangen durfte. Eines Tages liege ich im Bett und schaue eine neue Serie mit zwei Sanitäterinnen, die ich irgendwie cool fand. Richtig cool! Plötzlich werde ich nervös und will das auch! Zeit hätte ich ja genug. Da fällt mir ein, dass ein Freund von mir Sanitäter ist. Ich schreibe ihm sofort eine Nachricht, ob er mir erklären kann, wie man Sanitäter wird.

Nur kurze Zeit darauf sitze ich bei einem Aufnahmetest und beantworte Fragen wie “Warum wollen Sie Rettungssanitäter werden?” (Die Story mit der Fernsehserie habe ich damals ausgelassen). Und ich wurde tatsächlich angenommen! Ich durfte die Ausbildung beginnen, musste eine Prüfung ablegen (okay, zwei. Bei der ersten bin ich durchgefallen), danach kam das Praktikum.

So bin ich also zum Rettungsdienst gekommen. Unspektakulär eben. Aber jetzt erzähle ich euch, warum ich dabei geblieben und heute noch Rettungssanitäterin bin.

Einerseits, weil ich schon in der Ausbildung wunderbare Menschen und irrsinnig motivierte Kollegen kennenlernen durfte, die mich bis heute mit ihrem Enthusiasmus auf Trab halten, die aber zum Teil auch meine besten Freunde geworden sind.

Andererseits, weil ich den (bis dahin) schlimmsten Tag meines Lebens überstanden habe.

Mein erster Praktikumstag stand mir bevor und ich wusste nicht, dass ich gleich an diesem Tag die hässlichen Seiten des Rettungsdienstes erleben würde. Verletzte Kinder, verarmte und alleine gelassene Menschen, verkommene Wohnungen und Menschen, die in der Kälte auf der Straße gerade noch dem Tod von der Schippe springen, weil wir zur Hilfe eilen. Es war ein furchtbar harter Tag, ich war erledigt, traurig und irgendwie erschüttert, als das Team nach dem Dienst noch zusammen gesessen ist und lange über den Tag geredet hat. Als ich nach Hause gekommen bin, habe ich mich zu meinem Freund aufs Bett gesetzt und 15 Minuten wie ein Schlosshund geheult. Aber plötzlich ist mir eingefallen, dass da Menschen waren, die mir gedankt und mich angelächelt haben! Irgendwie kam mir der Tag dadurch weniger schlimm vor. Es sollten bis heute auch noch einige wesentlich schlimmere Tage folgen. Man sieht als Sanitäter viel Blut, aber auch Leid, Angst, Trauer. Doch man erlebt auch dankbar lächelnde Menschen, kleine Wunder, die man vollbringt, Leben, die man rettet und hat Kollegen, die hinter einem stehen und zu einer zweiten Familie werden.

Darum besitze ich, 7 Jahre später, eine Jacke, die immer noch perfekt passt und sicher noch lange passen wird. Finde auch du die passende Jacke!

© Yasmin Hassanin 2021-01-11

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