von allesachtsam
Langsam tauchen sie auf, die Yogis. Im Halbschlaf wurschteln sie sich aus der Decke hoch, um noch einmal in die Kamera zu blinzeln und zufrieden zu lĂ€cheln. Es gibt nichts Schöneres als dieses Vorher-Nachher Bild auf meinem Screen. Nun ist niemandem mehr zum Reden zumute und genau das ist das gröĂte Kompliment am Ende der Einheit. Zu Beginn finden sich alle vor dem Laptop ein. Ihre Wohnzimmer sind zum Yogastudio geworden. Matte, Decke und individuelle Hilfsmittel liegen bereit. Der elektronische Freund muss die Yogamatten-Nachbarn ersetzen. Dennoch sind wir alle dankbar fĂŒr die Möglichkeit der digital ĂŒbertragbaren Stunde. Wir sind uns nahe und doch geografisch fern. Aufgekratzt erzĂ€hlen alle vom Tagesgeschehen, bis ich sie mit der Anfangsmeditation ins Hier und Jetzt leite.
Eine meiner ersten Online-Yogastunden lief heute kostenfrei ĂŒber den Screen und begeisterte den Kreis der TeilnehmerInnen. Wie zitterte ich dieser Stunde entgegen, wollte den perfekten Flow zusammenstellen, allen Alters und Leistungsgruppen dienlich sein, aus dem Vollen meines Repertoires schöpfen.
âNit vakopfaâ, wĂŒrde mein Kumpel aus Vorarlberg sagen. âWas aus deinem Herzen kommt und durch dich flieĂt, kommt im Herzen der TeilnehmerInnen an, der Verstand ist dabei eher hinderlichâ, wusste eine erfahrene Yogalehrerin im Bekanntenkreis auf die Frage wie ich es am besten angehen soll.
Flow, Herz, Intuition â neues Terrain fĂŒr einen Kopfmenschen wie mich. Aber das vergangene Jahr hat mich gelehrt aus dem Kopf raus und rein ins SpĂŒren zu kommen. Es hat mich gelehrt, dass der Atem unser bester Freund ist. Es hat mich gelehrt, dass die Verbindung zwischen Körper, Geist, Seele und die gedankenlose Stille wahre Schatzinseln sind. Es hat mich vor allem gelehrt, dass alles, was wir benötigen, bereits in uns ist und wir nur noch jenen Zeichen folgen mĂŒssen, die uns den Weg zum SchlĂŒssel fĂŒr die Schatzkiste zeigen.
Eine kleine Geschichte zu dieser Metapher aus der Yogalehrerausbildung: Ein Bettler sitzt auf einer Truhe. Seine HĂ€nde sind geöffnet und er fleht Vorbeiziehende um etwas Geld an. Ein Mann verweigert und fragt stattdessen: âWorauf sitzt du da?“ Der Bettler weiĂ es nicht. âHast du schon einmal in deine Truhe hineingeblickt?â Der Bettler schĂŒttelt den Kopf, nein das hat er nicht. Er erhebt sich langsam und öffnet die Truhe, darin offenbart sich riesiger Goldschatz.
Genau das ist es! Als Yogalehrerin sehe ich mich in der Rolle des Hinweisschildes, um Bewusstsein zu bilden und Menschen zu zeigen, wie sie ihre vorhandenen SchÀtze aus eigener Kraft selbst entdecken können. Die Transformation binnen 75 oder 90 Minuten zwischen alltagsgeplagten und entspannten, seeligen Gesichtern ist dabei das wertvollste Honorar meines Lebens. Auf der Suche nach einer sinnstiftenden TÀtigkeit darf ich mich nun getrost verbeugen. Namasté, ich freue mich auf viele weitere mit-praktizierende Yoga-Interessierte.
© allesachtsam 2021-04-03