Der Schmerz sitzt tiefer

Denise Raisp

von Denise Raisp

Story

Mein Autorenfoto in diesem Buch zeigt mich mit 15 Jahren. Heute bin ich 18 Jahre alt. Das Foto entstand in Rom beim Trevi Brunnen, zu einem Zeitpunkt zu dem es mir nicht mehr zwingend gut ging. Warum genau dieses Bild? Weile eine Woche später die erste Einweisung folgte und alles seinen Lauf nahm.

Ich erinnere mich daran als wäre es gestern gewesen als der Rettungswagen mich ins Krankenhaus brachte, nachdem ich Suizidgedanken geäußert hatte. Die Angst war riesig, ich wollte das nicht. Warum hatte ich meinen Mund aufgemacht? Anfangs konnte ich mich nicht wirklich einleben, wollte zurück nachhause und keinen Kontakt mit den Mitpatienten. Alles war schwer, ich wollte doch gar keine Hilfe, warum verstand das denn niemand?

Nach einer gefühlten Ewigkeit stand meine Entlassung an, die Osterferien waren bereits vorbei und ich zog in eine Krisenunterkunft. Dafür konnte ich zur Schule gehen. Die Zeit in der Wohngruppe war angenehmer als die in der Klinik, allerdings durfte ich noch vor den Sommerferien nachhause ziehen, mit der Bedingung im Sommer einen stationären Therapieaufenthalt zu machen. Gesagt, getan, bloß das ich nicht schlauer geworden war und die Diagnostik verfälschte in der Hoffnung früher entlassen zu werden, da es mir ja „super“ ging.

Die geplanten sieben Wochen vergingen und ich wurde entlassen, die Bedingung: Ambulante Gesprächstherapie. Ich musste mich um einen Therapieplatz kümmern und blieb skeptisch. Zu allem Überfluss habe ich am zweiten Schultag nach den Sommerferien die Nachprüfung nicht bestanden. Das Leben war unfair.

Neue Klasse, neue Chance dachte ich und wollte diese nutzen. Nichts da, erstens wurde ich im Oktober erneut eingewiesen und zweitens stand im November das Schulschwimmen an und meine Beine sprachen Bände. Ich habe mich vermutlich nie derartig geschämt, aber kurze Zeit später startete ja auch mein erster Aufenthalt in der Tagesklinik. Vier Stunden Schule und dann bis 16 Uhr ins Krankenhaus, ich war nicht überzeugt. Es war dann doch in Ordnung. Meine Fassade begann zu bröckeln, irgendwie wollte ich Hilfe haben und gesund werden. Der erste Lockdown unterbrach meinen Aufenthalt, jedoch hatte ich damit kein Problem.

Viele sagen, dass Corona sie zerstört hätte. Ich sage das Gegenteil, denn die größten Hochphasen hatte ich während den Lockdowns. Während jedem einzelnen ging es mir um Längen besser, ich genoss diese Ausnahmesituationen und liebte das Homeschooling.

Das erste Stück des Berges habe ich erklommen und die Motivation, dass es mir besser gehen sollte war gekommen. Ganz habe ich es bis heute nicht geschafft, jedoch ist der geschaffte Weg lang und den Rest bekomme ich noch hin. Der Schmerz in mir sitzt tief, all das, was passiert ist, was ich meinem Umfeld und mir angetan habe und nicht mehr rückgängig machen kann, wird bleiben.

Einige Sachen habe ich aus all dem mitgenommen. Es ist okay nicht okay zu sein. Hilfe annehmen ist keine Schande. Eine Krise muss niemand alleine meistern.

© Denise Raisp 2022-08-20

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