Der Schnulli

Johanna Floss

von Johanna Floss

Story
2020

Du sitzt aufrecht im Bett. Rot leuchten deine Wangen, zu Berge steht dein blondes Haar. „Ich meinen Snulli will!“, schreist, nein brüllst du regelrecht. „Snulli, wo bist du?!“ Ich versuche dich zu beruhigen: „Häschen, du hast doch dem Osterhasen heute erst in der Früh…“

Der Osterhase, Ostern. Du bist nun 3 Jahre alt und Ostern wäre die absolute Schnulli-weg-Deadline gewesen. Die Idee: Du gibst – natürlich freiwillig und gerne – dem Osterhasen deinen geliebten Schnulli. Der Osterhase würde – so die Idee weiter – einem Baby deinen Schnulli geben. Du bist schon groß, das Baby ist klein. Du kannst ohne Schnulli schlafen, das Baby noch nicht. So zumindest die Theorie.

In der Praxis sitzt du aber da und schreist nach deinem Schnulli. Müde bist du, müde ist deine große Schwester. „Du bist doch schon ein großer Mann“, versucht dich dein Papi mit eurer Wir-sind-Männer Proklamation zu beschwichtigen. „Nein, ich Kleinkind bin!“, zerstörst du jedoch den Rettungsversuch. Deine große Schwester versucht nun auch ihren Teil beizutragen: „Aber kleiner Bruder, du sagst doch immer, dass du schon ein Großkind bist!“ Du unterbrichst dein Gebrüll nur kurz, denn: „Nein, heute bin ich Kleinkind!“ Versuch gescheitert.

Wir sind ratlos. Heute früh – angesteckt von der ich-schreib-dem-Osterhasen-einen Brief-Euphorie deiner Schwester – warst du davon überzeugt, HEUTE legst du dem Osterhasen deinen Schnulli vor die Türe. Hast ein Bild gemalt, Steine auf das Bild, Schnulli neben das Bild gelegt, Türe geschlossen und gewartet. Und gewartet. Selbst am Abend aber war der Osterhase noch nicht da gewesen. Alles lag noch da. Enttäuschung.

Im Bett nun das Malheur. Du willst deinen Schnulli. „Ich jetzt aufsteh und mir meinen Snulli wiederhole!“, sagst du dein Geschrei beendend. Schlau ist er ja, denke ich mir. Du läufst mit Papi hinunter zur Terrassentüre. Dann lautes Geheule: „Mein Snulli ist weg!“ Deine Schwester bekommt im Bett sitzend große Augen. Sie springt auf und läuft ebenfalls nach unten. „Hurra!“, schreit sie vor Begeisterung. „Der Osterhase war da – alles hat er mitgenommen. Die Bilder, meinen Brief und den Schnulli!“ Überraschung!

Die Aufregung ist jetzt groß, an schlafen ist nicht mehr zu denken. Bei deiner Schwester vor Freude, bei dir vor Ärger: „Mein Snulli ist weg!“, weinst du tieftraurig. Papi schaut mich an, mit dem Söhnchen Mitleid habend, würde er den Schnulli wieder…doch ich schüttel den Kopf: „Wenn man dem Osterhasen den Schnuller freiwillig hinauslegt, dann glaube ich nicht, dass der Osterhase den wiederbringt.“ Deine Schwester nickt, ebenso mitleidend: „Das kann ich mir leider auch nicht vorstellen.“

Du heulst Rotz und Wasser. Nachdem ich dir aber von dem Baby erzähle, das sich jetzt über deinen Schnulli sicher sehr freut, wirst du ruhig und kuschelst dich an mich. Schnullerproblem erledigt. So denke ich triumphierend, ging doch leichter als gedacht. Doch: „Blöder Osterhase, dumme Babies!“, schimpfst du nun vor Zorn.

© Johanna Floss 2020-04-19

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