Morgen wird der Schreibtisch neben mir leer sein. Der Kollege, der mehr als vier Jahre lang, seitdem ich dort arbeite, neben mir saß, zunächst zu meiner Linken, dann zu meiner Rechten, kommt nicht mehr, denn er hat das Büro verlassen. Er hat 9 Jahre hier verbracht und obwohl bei uns immer viel Wechsel im Personal herrschte, war er für mich nie einer der Verdächtigen. Zumindest bis vor einiger Zeit, als er häufiger davon zu reden begann, dass seine Arbeit ihn nicht mehr ausfüllt, dass er überlegt hatte, sich auf einen Job zu bewerben, den er schon einmal innehatte und der ihn gelangweilt hatte. Das Büro kriegt bald eine neue Geschäftsführung, auch das schien ihn zu verunsichern. Letztlich frage ich mich, ob nicht auch meine eigenen internen Karrierepläne dazu beigetragen haben, ihn zu vertreiben.
Auf einer Ebene waren wir uns sehr ähnlich, sehr bedacht, logisch veranlagt, beide nicht diejenigen, die ihre Gefühle groß zur Schau stellen. Auf einer anderen Ebene waren wir sehr unterschiedlich, sein Humor deutlich feiner und durchdachter als mein eigener derber und regelmäßig unangemessener Humor, er so hypochondrisch veranlagt, dass er mir damit auf die Nerven gehen konnte und mit der felsenfesten Überzeugung, dass es nicht mehr geben kann als das, was man sieht, ich hingegen mit dem Glauben daran, dass geschehen wird, was geschehen soll und dass es wahrscheinlich mehr gibt, als der beschränkte menschliche Geist sich vorzustellen vermag.
Ich wünsche ihm das Beste, auch wenn ich zugeben muss, dass mich zunächst der Neid gepackt hat, als er mir von seinem neuen Job erzählt hat, von einem höheren Gehalt, von deutlich mehr Urlaub und weniger wöchentlicher Arbeitszeit. Zu meinen unschönen Eigenschaften zählt leider, dass ich nicht gut gönnen kann. Ich weiß, dass es Unsinn ist, ich würden diesen Job nicht wollen, die Rahmenbedingungen mögen noch so attraktiv sein, wenn die Inhalte nicht stimmen, ist es in meinen Augen wertlos, und die Inhalte überzeugen mich nicht, und mir würde die Freiheit fehlen, die ich hier genieße, denn ich glaube nicht, dass dort dieselbe Freiheit herrscht, und ich bin immer noch nicht ganz sicher, ob nicht auch ihm das mehr fehlen wird als er sich derzeit bewusst ist.
Morgen wird das Büro, das mich vor mehr als vier Jahren aufgenommen hat, nicht dasselbe sein, denn von den Menschen, die mich dort aufgenommen haben, ist niemand mehr da. Manche waren zu Höherem berufen, manche wollten irgendwann nur noch weg, manche führte die Liebe fort, manche brauchten einfach einen Perspektivwechsel. Ich versuche ihnen keinen Vorwurf zu machen, denn so ist das Leben, und es kommen neue Kollegen, die sich das Büro mit mir teilen. Ich fand den Gedanken nur immer irgendwie traurig, dass das Leben uns scheinbar dazu zwingt, Menschen zurückzulassen und zu ersetzen. Ich selbst werde diesen Raum bald verlassen, wenn ich kann, und dabei diejenigen zurücklassen, für die ich von vorneherein dazugehörte. Und auch das gehört dazu.
© Ignatius-B-Samson 2023-03-05