Der Schulflur.

Lisa Funk

von Lisa Funk

Story

Es war eiskalt, das hatte der Winter leider so an sich. Ich saß auf der hölzernen Bank im Schulflur, direkt vor dem Lehrerzimmer, wo ich immer saß. Der einzige Ort in der gesamten Schule, an dem ich in Ruhe gelassen wurde. Leider auch einer der vielen Orte, die nicht beheizt wurden. Die Pausenhalle war beheizt, aber dort wollte ich auf keinen Fall hin. Wie jeden Tag bemerkte ich die Blicke, die auf mir ruhten, während ich mein Pausenbrot rausholte und anfing zu essen. Ich hatte mich inzwischen daran gewöhnt, dass mir die Lehrer mitleidsvolle Blicke zuwarfen. Sollten sie doch! Als ob ich nicht wüsste, dass sie im Lehrerzimmer über mich tratschten und so taten, als wäre die ganze Situation so schlimm. Nun, es war auch schlimm. Schlimmer war jedoch, dass sie Mitschuld hatten und sie das ganz genau wussten. Alles Heuchler. Wer zusah und nichts tat, hatte Mitschuld. Ganz einfach. Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als die Bank neben mir knarzte und ich das zusätzliche Gewicht bemerkte, dass die Bank nach unten drückte. Ich seufzte und verstaute mein Pausenbrot wieder. Ich machte mir nicht die Mühe die Person anzusehen, dass es eine Lehrkraft war, wusste ich auch, ohne hingucken zu müssen. Ich hatte dieses Szenario schon so oft mitspielen müssen, dass ich wusste, dass die Person von alleine anfingen würde, das Gespräch zu beginnen. „Hallo Mia, wie geht es dir?“. Ich kannte die weibliche Stimme nicht und als ich ihr mein Gesicht zuwandte, musste ich feststellen, dass ich die Frau generell nicht kannte. Aber sie wusste meinen Namen, das sagte doch schon irgendwie alles. Ich atmete tief durch. „Gut, danke“, antwortete ich knapp. Ein Strahlen ging über ihr Gesicht, so als hätte sie nach ewig langer Zeit endlich die Antwort auf ein schwieriges Rätsel gefunden. „Tut mir leid, dass ich dich so plötzlich angesprochen habe, aber ich sehe dich hier jeden Tag allein in der Pause sitzen, noch dazu in der Kälte und da wollte ich fragen, ob du nicht lieber in die Pausenhalle gehen möchtest? Du könntest dich erkälten.“ Ich hasste Mitleid. Sie lächelte mir zu und es sollte wohl ermutigend wirken, aber auch die Schiene zog bei mir nicht mehr. „Hören Sie, allein dass sie meinen Namen kennen sagt mir eigentlich schon alles. Denken Sie, ich bemerke die Blicke nicht? Denken Sie, ich weiß nicht, dass ich im Lehrerzimmer Gesprächsthema Nummer 1 bin? Und wissen auch Sie nicht ganz genau, warum ich hier sitze? Wenn Sie mir wirklich helfen wollen, dann werden Sie endlich aktiv, statt meine wohlverdiente Ruhe durch ihre primitiven Fragen zu stören. Denken Sie, es ist so einfach? Dass mit dieser simplen Frage wieder alles in Ordnung wird? Wenn das ihr Ziel ist, dann haben Sie es sich zu hoch gesteckt.“ Ihr Lächeln erstarb, noch ehe ich meine, meiner Meinung nach, epische Rede beendet hatte. „Ich wollte nur…“ Ich unterbrach sie sofort mit einer ruppigen Handbewegung. „Sie wollen so vieles, nicht wahr? Wie jeder andere vor Ihnen der sich hier neben mich gesetzt und die exakt gleiche Frage wie sie gestellt hat und doch hat sich nichts verändert. Nur durch wollen passiert nichts. Wissen Sie, was ich will? Ich will das letzte bisschen Ruhe genießen, bevor ich zurück in die Hölle muss.“ Ich schulterte meinen Rucksack und verließ den Flur, es würde sowieso gleich klingeln. Sollte Sie doch mal DAS im Lehrerzimmer rumerzählen. Die Genugtuung, die ich verspürte, hielt den ganzen Tag über an. Ich hatte keine Lust mehr auf falsche Freundlichkeit, ich wollte nicht auch noch das Opfer von ihr sein.

© Lisa Funk 2023-08-02

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Emotional, Traurig
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