der schwarze fleck

thestorycurator

von thestorycurator

Story

Heute war ich zum ersten Mal seit der Pandemie-Apokalypse beim Mostheurigen. Hier merkt man nichts von der ansteckenden Stimmung da draußen. Hier zieht die Krise vorbei, oder durch den Gastraum durch, weil die Fenster offen sind und es einer der letzten Spätsommertage ist. Der Sturm ist frisch gezapft und die Nussstangerl krosser den je. Innerhalb der ersten sieben Minuten will mich Oma an den dreißig Jahre älteren Nebentisch verscherbeln.

Und ich merke: mir hat der Speck und das Spezialbrot gefehlt, mir haben die Leute am Nebentisch gefehlt, das Schäckern, das Lachen, das Schmähführen, das süße Sein im Dazwischen. Diese paar Stunden in der die Individualdistanz gefühlt auf ein Minimum (und die echte mit Co-Abstand) schrumpft. Mir hat es gefehlt mich Hals über Kopf in eine sinnlose Diskussion übers Baumfällen und Schönheitsoperation und meine Busen zu stürzen. Oder darüber, dass die Nachbarin mit dem e-Bike in den Strauch vom Bürgermeister gedonnert ist und dabei die Keramikfiguren in den Tod gerissen hat.

Meine Kiefermuskulatur schmerzt, mein Bauch ist voll mit Glück. Oma hat nach dem dritten Sturm einen Damenspitz, Opa ist auch rauschig. Beide blühen auf. Opas Augen glühen, man sieht den Spitzbub darin. Oma überkommt eine jugendliche Freude, die ich in den letzten Monaten vermisst habe.

Diese komische Schwere auf der Brust ist plötzlich leichter. Dieses beklemmende Gefühl von Angst, dass tagtäglich leise und im Hintergrund mitschwingt und sich wie ein klitzekleiner Schatten über mein Herz gelegt hat ist weg. Ich atme tief durch. Schräg und erschreckend, wenn ich darüber nachdenke, was ich da gezwungen und ungewollt mitschleppe. Angst.

Innerhalb weniger Monate wurde ich darauf konditioniert, dass ich die Straßenseite wechsle, wenn mir jemand entgegenkommt. Dass ich zu Fuß gehe, anstatt mich in einen Bus mit anderen Menschen zu quetschen. Dass ich eine Pro/Kontraliste in Länge einer Doktorarbeit anlege bevor ich meine Freundin flüchtig umarme – mit Luft anhalten (Einbildung und so). Nach einer 40-h Arbeitswoche brauche ich gefühlt einen Monat Urlaub. Bin ich ganz daheim fällt mir die Decke am Kopf. Nach zu viel Sozialkontakt bin ich überfordert und bei zu wenigen spielt meine FOMO (die Angst etwas zu versäumen) verrückt. Immer diese Angst und gleichzeitig die Rebellion gegen die Angst. Als ich C. zum ersten Mal geküsst habe, kam ich mir vor wie eine Schwerverbrecherin. Eine quasi Fremde MITTEN in der Pandemie auf offener Straße nieder zu schmusen – das ist auf der Rebellenskala Krim gegen Russland. Das ist Charlotte Roche, die mit Titanhaken im Rücken Bungee springt.

Ich bringe die Großeltern nach Hause. Im Affekt umarmt mich die Oma und ich umarme zurück. SHIT! Mir bleibt das Herz stehen, will die Luft anhalten, erwische beim Mundschließen eine Ladung von Omas Parfum, dass sogar jetzt noch auf meiner Zunge klebt wie Manner Stollwerk.

Der schwarze Fleck ist wieder da.

Hello old friend.

Schleich di bitte.

© thestorycurator 2020-09-24

Hashtags