von Franz Brunner
Fast so, als wollten sie sich beim Universum, das der Flockenschar eine Melodie einhaucht, bedanken, um sich dann zufrieden am Erdboden niederzulassen.Soweit zur weiĂen, also mehr grauen Theorie, denn schon nach wenigen Minuten hat mich die RealitĂ€t völlig unromantisch eingeholt. Es tropft aus meiner linken Hand auf meine Hose. Ein nasser Fleck im Schritt ist alles, was vom EiswĂŒrfel ĂŒbrig ist. Ich sehe aus, als ob ich …. Habe ich aber nicht, ganz sicher nicht. Ich ziehe es anstandshalber vor, noch eine Weile sitzenzubleiben und den peinlichen Wasserfleck gegen die Sonne auszurichten. Braucht ja wirklich keiner zu sehen. Alles Lug und Trug, es ist nicht Weihnachten. Es ist Sommer, es ist heiĂ und es ist schön. Und das mit den Schneeflocken, von wegen romantisch. Ha, dass ich nicht lache, denn nĂŒchtern betrachtet passiert Folgendes: Gefrorenes Wasser mit kristalliner Struktur wird von der Schwerkraft mit einer Beschleunigung von 9,81 m/s2 gegen den Erdboden gezogen. Die GegenkrĂ€fte in Form von Luftbewegungen veranlassen die Wasserkristalle, die geradlinige Bewegung zum Erdmittelpunkt in jene Richtung zu verlassen, die sich durch die resultierende Kraft aus allen zum Betrachtungszeitpunkt einwirkenden KrĂ€fte ergibt. So einfach ist das. Von wegen Melodie des Universums. Zeit wirds, wieder nach Hause zu kommen, ins trĂŒb-nasse Ăsterreich. Ich rechne mir gute Chancen aus, dort rasch in die notwendige Vorweihnachtsstimmung zu kommen. Und ich werde nicht aufgeben, niemals. Mittlerweile ist der Dezember ins Land gezogen. Ohne Pomp, ohne Getöse, fast hinterrĂŒcks ist der Winter eingefallen. Man schreibt den 10. Dezember und meine Weihnachtsgeschichte, sie hinkt dem Plansoll deutlich nach. Der Zeitpuffer wird bedrohlich klein, aber ans Aufgeben ist nicht zu denken. Ein Mann, ein Wort. Ein Mann, eine Geschichte. Der Versuch mit dem EiswĂŒrfel ging deutlich in, eigentlich mehr auf die Hose. Doch ich hab bereits eine neue Strategie, eine sanftere, eine Art Kuschelstrategie. Diesmal mit EiswĂŒrfel â und GlĂŒhwein! Vielleicht war im August die Ablenkung durch die griechische Musik zu groĂ, diesmal konzentriere ich mich mehr auf das Hier und Jetzt. Ich ziehe mir warme Socken an, bereite mir eine Kanne krĂ€ftigen GlĂŒhweins zu und erhöhe die Dosis an EiswĂŒrfel. Drei StĂŒck in die linke Hand, das sollte reichen. Dazu ein erster GlĂŒhwein, und schwups bin ich schreibbereit. Eiskaltes HĂ€ndchen, brennheiĂer GlĂŒhwein, eine sehr erfolgversprechende Kombination. Ich beiĂe die ZĂ€hne zusammen â und warte geduldig. Und plötzlich: Yesss, it works! Die ersten Flocken tauchen vor meinem geistigen Auge auf, ein Hauch von Weihnachten streicht durchs Zimmer. Rasch ein zweiter GlĂŒhwein, bevor die Stimmung wieder umschlĂ€gt. WĂ€hrend ich den Schreibstift auf das weiĂe Blatt Papier, das mich unerbittlich anstarrt, aufsetze, mutieren die Schneeflocken zu Sternchen, und ganz langsam werden bunte Luftballons draus. Der SchweiĂ rinnt mir von der Stirn und ich schlafe trotz eines nassen Flecks im Schritt selig lĂ€chelnd ein. Mit Weihnachten, das wird wohl heuer nichts mehr, und bis Ostern bleibt noch jede Menge Zeit. Wird eben eine nette Ostergeschichte draus. Ich stellâs mir auch viel einfacher vor, in schreibaffine Osterstimmung als in Weihnachtsstimmung zu kommen. Der genussvolle Verzehr von 2 bis 3 Schokolade-Osterhasen sollte erstmal genĂŒgen. Ich machâ mich sofort an die Schreibarbeit – wenn ich wieder komplett nĂŒchtern bin.
© Franz Brunner 2023-06-15