Der Seewinkel im Wandel

Gabriele_Krele-Art

von Gabriele_Krele-Art

Story
Österreich, Burgenland, Seewinkel 2023

Dort, wo vor 15 Monaten noch unzählige Limikolen im seichten Wasser des Zicksees im burgenländischen Seewinkel nach Futter stocherten, wo vor einem Jahr auf tief gefurchtem Schlammboden Reste verendeter Fische das Bild des ausgetrockneten Zicksees prägten, sprießt ein Jahr später aus feinkrümeliger Erde allerlei Grün. Die Pannonische Salzaster hat den einstigen See erobert. Hunderte lila Blüten wogen im Wind der neu entstandenen „Zickwiese“. Eine Wasserrutsche auf der herbstlichen Wiese ist stumme Zeugin des einstigen Seebades. Seevögel suchen wir vergebens. Auch die nahe gelegene Lange Lacke ist vollständig ausgetrocknet. Auf den uns gegenüberliegenden einstigen Ufern der Lacke erkennen wir eine grasende Rinderherde. Eine Tafel verweist auf ein Beweidungsprojekt.

Wir setzen unsere Fahrt fort zum Warmbadsee und hoffen, dort Wasservögel anzutreffen. Doch auch dieser Salzsee ist dem trockenen Sommer zum Opfer gefallen. Trotzdem treffen wir einige Vogelbeobachter, die mit mehreren Spektiven den ausgetrockneten See absuchen. Neugierig frage ich nach, was sie denn Interessantes gefunden hätten. Noch nichts, aber es wurde ein äußerst seltener Vogel auf der ornithologischen App eingemeldet. Ein Sandläufer, eine nordamerikanische Limikole. Wie das denn möglich sei, will ich wissen. Vor allem Jungvögel driften oft ab und landen dann irgendwo in Europa. Die Gespräche unter den Ornithologen werden aufgeregter. Einer von ihnen hat einen kleinen Vogel entdeckt. Das könnte er sein. Ein anderer hält den Vogel für einen Kiebitz-Regenpfeifer. Nach langem Hin und Her sind sich die Experten einig: Der seltene Irrgast befindet sich in Gesellschaft einiger Kiebitz-Regenpfeifer. Die Freude über die Entdeckung des Sandläufers ist groß.

Wir verabschieden uns. Auf dem Parkplatz des Seebades in Illmitz wollen wir zu Mittag essen und uns für die „Hölle“ am Nachmittag stärken. Hölle nennt man den Abschnitt zwischen Illmitz und Podersdorf, eigentlich ein himmlischer Ort für Vogelliebhaber. Der Seedamm ist Teil des Neusiedler See-Radweges am Ostufer des Neusiedler Sees. Mit unseren Klapprädern radeln wir diese Strecke am Nachmittag ab und staunen nicht schlecht, als wir den Unteren Stinkersee passieren. Er führt tatsächlich Wasser. Wir erkennen Graugänse, Säbelschnäbler und Lachmöwen mit unserem Fernglas. Eine Brandgans macht sich bereit zum Abflug. Was ist das für ein Vogel über uns? Ein Foto mit dem Teleobjektiv bringt Gewissheit: Ein Großer Brachvogel überquert den Stinkersee. Mit lautem Geschnatter setzt eine Schar Graugänse vor dem Schilfgürtel zur Landung an. Dort haben sich schon hunderte Artgenossen auf ihrem Schlafplatz niedergelassen. Ein riesiger Starenschwarm zeigt uns seine Flugkünste.

Vom Aussichtsturm in der Hölle haben wir einen herrlichen Ausblick in den Nationalpark Neusiedler See-Seewinkel. Dann geht es wieder zurück nach Podersdorf, wo wir unser Wohnmobil auf einem Stellplatz abgestellt haben. Der erste Oktobertag, sonnig und warm wie kaum einer zuvor, neigt sich langsam dem Ende zu. Er macht Lust auf mehr Entdeckungen im Burgenland. Das herbstliche Schönwetter wird uns hoffentlich noch ein paar Tage begleiten.

(Foto: Graugänse in der Hölle bei Illmitz, Oktober 2023)

© Gabriele_Krele-Art 2023-10-01

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Romane & Erzählungen
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Informativ, Unbeschwert
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