Der Segenbaum

Hermann Karosser

von Hermann Karosser

Story

Mit dem Palmsonntag begann das Osterfest und damit der Reigen von Ritualen der Karwoche. An diesem Tag wurde bei uns die frĂŒher viel ausgeprĂ€gtere Palmbuschen-Tradition gepflegt.

Dazu machte sich mein Großvater daran, fĂŒr mich und einen Freund von mir zwei Palmbuschen zu binden, so, wie er sie aus dem bayerischen Wald kannte.

Grundlage war ein stabiler Haselnussstecken, etwa so lang, wie ich groß war und oben angespitzt. Den Buschen selber, also das „GrĂŒnzeug“, bestehend aus PalmkĂ€tzchen-, Buchs- und Segenbaumzweigen hat der Großvater mit einem Spagert, niederbayerisch fĂŒr Schnur, fest am Haselnussstecken angebunden und kunstvoll verknotet. Auf das angespitzte Ende des Steckens wurde dann ein schöner roter Apfel gesteckt und nach unten gedrĂŒckt, so dass sich das GrĂŒnzeug auseinander spreizte und eine schöne Krone bildete.

Bei den weiteren Äpfeln machte der Opa dann einen Unterschied zwischen den zwei Buschen. WĂ€hrend er bei meinem Freund nur drei bis vier Äpfel ĂŒbereinander steckte, nahm er bei meinem sechs Äpfel, vier ĂŒbereinander und in dem Zweiten von oben an einem Querholz links und rechts nochmals einen Apfel. Auf diese Weise entstand ein „Apfelkreuz“ in der Mitte. Den Abschluss bildete ein schönes rotes Band um den Spagert herum.

Die „Zutaten“ fĂŒr die Buschen kamen alle aus unserem Garten, wo sie reichlich vorhanden waren. Der Segenbaum und der Buchs standen gleich links und rechts vom Seiteneingang des Hauses am Mariahilfberg. Damals machte sich ĂŒbrigens niemand Gedanken darĂŒber, dass im Haus Kinder lebten, der Segenbaum aber als ein in allen Teilen sehr giftiges GewĂ€chs bekannt ist.

Am Palmsonntag frĂŒh ging’s dann mit der ganzen Familie runter in den Innenhof des Kapuzinerklosters, wo der Festgottesdienst stattfand.

NatĂŒrlich waren mein Freund und ich nicht die einzigen mit Palmbuschen. Rund um den Altar fanden sich sehr viele, aber auch sehr unterschiedliche Buschen mit ihren TrĂ€gern ein. Es war fast etwas wie ein Wettbewerb, wer den schönsten oder grĂ¶ĂŸten Buschen hat. – Dabei waren auch die Österreicher von jenseits der Grenze. Sie hatten Buschen, die zwar etwas kleiner, aber an sehr langen Stangen – bestimmt drei bis vier Meter lang – befestigt waren. Das war fĂŒr manche TrĂ€ger durchaus eine Herausforderung, besonders dann, wenn nach der Palmweihe im Rahmen des Gottesdienstes die Palmprozession stattfand.

Nach Kirche und Prozession gingen wir mit den Palmbuschen wieder heim, wo man sie bald wieder auseinandergenommen und in kleinere Buschen gebunden hat. Diese kamen dann in den Herrgottswinkel und hinter jedes Kruzifix im Haus, wo sie ein ganzes Jahr stecken blieben.

FĂŒr unsere eigenen Kinder hab ich selbst Palmbuschen nach dem Vorbild meines Großvaters gebunden. Nicht vergessen werde ich dabei, wie sich bei der Palmprozession unsere Nachbarin humorvoll zu dem Ausspruch hinreißen ließ: „Die grĂ¶ĂŸten Bauern, hab’n auch die grĂ¶ĂŸten Buschen!“.

© Hermann Karosser 2020-07-11

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