Der Seher – Teil 8

Christian Schleich

von Christian Schleich

Story

Nadim kam sich schäbig vor. Er hatte das viele Geld genommen und somit seine Moral verkauft. Doch so musste er zumindest keine Angst vor der nächsten Zeit haben. Sein Unterhalt war gesichert.

„Ich hatte gehofft du siehst dich selbst.“, fing Hannah an, als sie sich wieder beruhigt hatte. „Dass du meine Investitionsmöglichkeit bist, meine ich.“

Nadim drehte sich der Magen um. „Das halte ich für keine gute Idee.“, antwortete er darauf und langte nach dem Geldhaufen, als hätte er Angst, sie würde es ihm gleich wieder wegnehmen.

Aber Hannah ließ nicht locker: „Aber überlege doch mal! Wir würden mit so wenig Arbeit, so viel Geld machen. Du könntest dir auch so eine Wohnung hier leisten. Und den Rest nutzt du, um dein Leben zu genießen.“

Das klang verlockend, dachte Nadim und eine kurze Weile malte er sich ein Leben aus, in dem er reich und unbeschwert war. Keine Sorgen, das wäre herrlich. Aber dann kam er wieder zu Besinnung. „Ich will nicht die Aufmerksamkeit auf mich ziehen. Im schlimmsten Fall werden die falschen Leute auf meine Fähigkeit aufmerksam und machen dann wahnwitzige Experimente an mir.“

„Du hast Angst, das verstehe ich.“ Hannah trat an Nadim heran und legte ihre Hände an seine Hüften. „Aber ich denke, du hast zu viele Filme gesehen. Glaube mir! Wir machen damit Millionen.“ Hannah grinste wieder so, dass Nadim ihr kaum widerstehen konnte.

Er zwang sich aus ihrer wohligen Umklammerung und wurde etwas hektisch. „Ich muss jetzt los.“, stammelte er, schnappte sich seine Jacke und ging zum Aufzug. Da er nicht wusste wie man diesen bediente, musst er darauf warten, dass Hannah ihn rief und öffnete. Das waren vermutlich die unangenehmsten Sekunden seines Lebens. Unten angekommen schritt er aus der Haustür und die Sonne blendete ihn. Er fühlte sich energielos, so als wäre er krank. Wann er das letzte Mal tatsächlich krank gewesen war wusste er aber nicht mehr, es war schon so lange her gewesen. Er ging zu einem Kiosk am Bahnhof, das auch Brötchen verkaufte und bestellte sich eines, als er auf der Zeitung, im Ständer nebendran, das Datum sah. Es war doch Montag. Kaum zu Hause angekommen, er kaute noch an dem letzten Stück Brötchen, klingelte sein Smartphone. Die Nummer war unterdrückt.

„Ja, hallo?“, meldete sich Nadim

„Nadim. Warum bist du heute nicht zur Arbeit erschienen? Und das auch noch unentschuldigt.“ Aus dem Telefon plärrte die Stimme seines Chefs. „Solche Mitarbeiter kann ich mir im Moment einfach nicht leisten. Du bist gefeuert.“ Das Tuten am Ende verriet Nadim, dass es keine Chance mehr gab zu diskutieren. Er glaubte zwar, dass sein Chef nur einem Vorwand gesucht hatte ihn hinauszuwerfen, doch das war egal. Das Ergebnis blieb dasselbe.

Er suhlte sich an diesem Tag in Mitleid. Doch er hatte zumindest noch das Geld, das er sich verdient hatte. Und am selben Abend stand er wieder in Hannahs Aufzug, auf dem Weg nach oben.

© Christian Schleich 2023-07-17

Genres
Romane & Erzählungen, Science Fiction & Fantasy
Stimmung
Abenteuerlich, Herausfordernd, Hoffnungsvoll, Mysteriös, Angespannt
Hashtags