Der Seiltänzer

Paul Kilian

von Paul Kilian

Story

Auch um 5 Uhr steht der grüne Mann wie immer vor der französischen Botschaft. Ein Maschinengewehr in der Hand. Schwarze hohe Lederschuhe, und einen dicken grünen festen Anzug. Das macht ihm Angst, aber als er an dem Mann vorbeigeht, haben sie kurz Augenkontakt und der Jüngling überlegt sogar ihn zu Begrüßen, traut es sich im letzten Moment nicht, und nickt ihm nur zu. Mit unverändert strenger Mimik bekommt er ein Nicken zurück. Der Mann schaut total süß aus. Der Jüngling ist jetzt ganz nahe an der Uni und die Sonne ist noch immer nicht aufgegangen. Er merkt, dass er gerade geht, ohne ein wirkliches Ziel und ohne an etwas Bestimmtes zu denken.


Der Schauspieler ist nun wieder alleine auf der Bühne und man hört nur ein rhythmisches Klopfen von Stiefeln. Er zieht sie sorgsam aus und geht von der Bühne herunter. Durch die Reihen hindurch und aus der Tür hinaus. Still. Für kurze Zeit redet niemand. Dann hört man tuscheln. Die Bühne ist ganz leer der Saal ist dunkel. Plötzlich leuchtet ein heller weißer Scheinwerfer auf eine leere Logge und der Schauspieler dort am Rand des Balkons. „Aus dem Brunnen meines Kopfes ziehe ich den Faden, den ich spanne.“ Dann stellt er sich an den Rand und macht einen Schritt ins Leere. Er fällt nicht, denn dort ist ein Seil. Gespannt von der einen Seile des Saals auf die andere. Auch der andere Fuß steigt vom Balkon herunter und nun muss der Körper sein Gleichgewicht finden. So leicht ist das gar nicht. Der Schauspieler zittert und wackelt wild hin und her. Zwei Stöcke unter ihm das Publikum. Er macht zwei schnelle weitere Schritte, das Seil fängt wieder an zu wackeln. „Hat der eine Sicherung.“ . „Na hat er ned. Das sieht man doch. Is doch vollekanne beleuchtet“ „Entschuldigung lassen sie mich da durch.“ Im Parterre bricht, tummelt auf und die Leute rennen springen übereinander fliehen an auf die Seite. Hauptsache weg von dem Seiltänzer. Wie bei einem kenternden Schiff klammern sie sich an den Rand, die Wände des Theatersaales. „RUHE, schaut mir zu, dem Seiltänzer. SCHAUT UND HÖRT AUCH ZU!“ Um ihn herum sind alle Augen konzentriert, alle schauen dem Schauspieler zu. Der Jüngling aber schaut um sich, das Publikum an, sieht wie von oben ein Mitarbeiter den Scheinwerfer mit den Bewegungen des Schauspielers synchron hält. Er schaut auf den Schauspieler herab, wie er zwischen einer und der anderen Logge in der Mitte steht. Angst sieht er in den Augen, schweiß tropft von seiner Stirn. Es ist kein Spaß für ihn, sondern TODERNST. Das Publikum noch immer am Rand gedrängt. Niemand spricht, alle schauen nur zu. Und auf einmal kommt aus seinem Magen ein Gefühl und er kann es nicht unterdrücken. Ein Anfall, ein Lachanfall, bricht über ihn aus. Der Wahnsinn hat ihn gepackt. Er hält sich den Bauch auf die Hand und presst die andere vor den Mund. Plötzlich schaut der ganze Saal auf ihn, außer einer, der Seiltänzer. Er weiß nicht, was passiert, doch er hat keine Eile. Immer weiter lacht er, hört manchmal kurz auf und dann packt es ihn wieder. Bis er und so fühlt sich das an, sich ausgelacht hat. Sein Körper entspannt sich und langsam kommt das Lachen in immer kleineren Abständen, bis es schließlich ganz aufhört. Ohne Wörter wenden sich die Blicke wieder von ihm ab. Nur einer hat die ganze Zeit nicht zu ihm geschaut. Der Seiltänzer.

© Paul Kilian 2024-08-31

Genres
Romane & Erzählungen