Der Sex des Alters?

HelgaP

von HelgaP

Story

„Essen ist nach Beziehung und Sexualität wohl das Persönlichste und Intimste im Leben eines Menschen“, sagt ein Ernährungscoach im Radio. Der Satz kreist mir den ganzen Vormittag im Kopf herum. Auch das Zitat „Essen ist der Sex des Alters“, das ich immer als eine eher fade Ausflucht angesehen habe, wird erwähnt.

Beim Mittagessen fange ich an, den beiden Sätzen noch eindringlicher nachzuspüren. Ich habe Pastinaken aus dem Garten zu einer herrlichen cremigen Suppe verarbeitet. Der Zuckerhutsalat aus eigenem Anbau wird mit etwas Kartoffeln und einer Prise Zwiebeln, Balsamicoessig und Kürbiskernöl als Dressing vermischt. Aus meinem Reisegepäck habe ich die Currymischung und den Pfeffer aus Sri Lanka ausgepackt und verwende sie heute für ein Gemüsecurry mit Erdnüssen. Mit der Zimtrinde, die den ganzen Koffer mit ihrem aromatischen Duft erfüllt hat, bereite ich ein Apfelkompott zu, in das auch ein paar Preiselbeeren gemischt werden.

Das Mittagessen ist fertig. Meine Mutter stochert wie immer eher lustlos in den Speisen herum und auf meine Frage, ob das Essen nicht schmecke, zuckt sie nur die Schultern. Aber mir schmeckt es königlich – entweder bin ich sehr hungrig oder das Essen ist mir diesmal wirklich gut gelungen. Die cremige Suppe mit ihrem leicht süßlichen Pastinakengeschmack lässt mich entzückt und genüsslich die Lippen lecken. Der Salat mit seiner genau abgestimmten Würze lässt mich zufriedene „Hmm – Laute“ von mir geben. Beim ersten Bissen des Currygerichtes überläuft mich ein wohliger Schauer. Ui, ist das scharf, aber ui, ist das gut. Meine Lippen brennen, mir wird heiß. Noch eine Portion muss sein. Die Schärfe wird immer brennender. Irgendwann habe ich dann doch genug und gönne mir noch ein Schälchen Apfelkompott als Dessert. Süß, intensiv und sinnlich führt der zimtige Geschmack die Gedanken zu Weihnachten. Was für ein herrlicher Abschluss des Essens.

Wenn ich mir meine Gefühle beim Essen im Nachhinein nun durchsortiere und analysiere, muss ich gestehen, dass das Zitat mit dem „Sex des Alters“ vielleicht doch ein Fünkchen Wahrheit enthält.
Ich beglückwünsche mich jedenfalls selbst dazu, dass ich ein gutes, geschmacklich vielfältiges Essen noch so richtig genießen kann.
Das lustlose Löffeln meiner Mutter oder auch der Bericht einer Freundin, die nach einem Schlaganfall beim Essen immer nur das Gefühl von geschmacklosen Kieselsteinen im Mund hatte, zeigt mir, welch ein Geschenk das freudige, lustvolle Verspeisen von vielerlei Gutem doch ist. Was so selbstverständlich scheint, ist es gar nicht.

Die unterschiedlichen Sinneseindrücke, die verschiedene Lebensmittel mit ihrer Vielfalt hervorrufen können, machen Essen vielleicht zu einem gleichgestellten Partner von Erotik. Ob das eine durch das andere ersetzbar ist? Wohl kaum, aber ich als altes, erfahrenes Mädchen bin nun jedenfalls zu folgender Erkenntnis gekommen: sinnliche Freuden bescheren auf alle Fälle sowohl gutes Essen als auch guter Sex.


© HelgaP 2024-11-13

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Humor& Satire
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Komisch
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