Der Sonntag, die Autorin und ich

Helga M. Stadler

von Helga M. Stadler

Story

Sonntagvormittag, auf dem Weg zu einer Autoren-Lesung. Ins Literaturhaus Wien, Neubau. Das erste Mal im heurigen Jahr eine Veranstaltung dieser Art. In der U-Bahn verspüre ich Vorfreude und Neugier, auf das was mich gleich erwartet. Werde ich bekannte Gesichter sehen, alte Bekannte wieder treffen oder neue Begegnungen mit Literaturinteressierten haben? Die österreichische Autorin, die gleich ihren neuesten Roman vorstellen wird, ist mir (noch) unbekannt, Interviews mit ihr in Fachzeitschriften haben mich neugierig gemacht.

Gleicher Jahrgang, gleiche Kindheit in der Provinz, ähnliche Lebensgeschichte mit auffällig vielen Parallelen – die Autorin und ich – was mich erheitert, gleichzeitig auch ein wenig irritiert. Meine Gedanken werden jäh durch einen Ziehharmonika-Spieler in Jogginghosen unterbrochen. Ich kenne ihn, er ist derzeit mit seinen Kollegen in allen U-Bahnen unterwegs – er spielt melancholische Musik. Niemand nimmt ihn wirklich wahr, manche fühlen sich gestört. Ich krame nach Kleingeld, er tut mir plötzlich leid. Ich erinnere mich spontan an die lebendigen Erzählungen meiner Tochter über die Berliner Verkehrsmittel und ihre wunderbaren Musiker in allen Wagonen, auf allen Strecken. Im Gegensatz zu hier freuen sich die Berliner Fahrgäste und sind spendabel. Wien ist anders … mal wieder.

Endlich angekommen. Nette Begrüßung, Kaffee und Kipferl warten. Nettes Gespräch mit einer interessanten Dame 60plus. In kürzester Zeit weiß ich mehr über sie – Dauerleserin, Winter- und Wien-Blues, Initiatorin bei „Omas gegen rechts“ – als von meinen meisten Wohnungsnachbarn. Die Autorin kommt mit ihrem Anhang. Sie sieht exakt so aus wie auf den Pressefotos ihres Verlagshauses.

Die Lesung beginnt. Die Autorin, obwohl erfolgreich und mit einigen Literaturpreisen ausgezeichnet, ist sichtlich nervös. Wie sympathisch. Sie beantwortet die Fragen des Reporters – das Interview wird aufgezeichnet – etwas widerwillig. Sie erzählt über die Enge des Provinzlebens, ihre Flucht nach Wien, ihre angstbesetzten Jahre im Sozialbereich und als Alleinerzieherin – mitunter habe ich das Gefühl sie spricht von mir.

Hauptprotagonistin des Romans ist eine einfache Frau vom Land, die plötzlich beschließt, ihr altes Leben über Bord zu werfen, um sich in unbekannte Abenteuer zu stürzen und einer neuen Mission zu folgen. „Mit hintergründigem Humor und viel Sprachwitz skizziert“, heißt es auf dem Klappentext des Buches. Jeder im Raum stellt sich die gleiche Frage, „bin ich mutig genug wie Fanni, um alles hinter mir zu lassen und neu zu beginnen“? Die Frage muss jeder für sich selbst beantworten!

Auf dem Heimweg denke ich intensiv darüber nach. Mein bisheriges Leben hatte viele Wendungen, Umbrüche und Unvorhergesehenes parat. Und auch im Laufe des heurigen Jahres stehen berufliche und private Veränderungen an. Möge ich so viel Mut und Zuversicht haben wie diese Romanheldin!

Apropos, das Buch ist sehr empfehlenswert!

© Helga M. Stadler 2020-03-03

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