Der Stadtstrand

Frederik Dressel

von Frederik Dressel

Story

Der Schritt aus der Haustür. Ein kleiner für die Menschheit, aber ein großer für mich, und schon tauche ich ein in die Stadt, nach der ich verrückt bin, an der ich mich wie ein Süchtiger berauschen kann.

Und die ich lange nicht mehr gesehen habe, sehr lange, für meine Verhältnisse, weil ich mal wieder in Quarantäne war. Weil ich die ‘Aufforderung zur Absonderung’ erhalten hatte (was für ein Ausdruck!), mich in häusliche Isolation hatte begeben müssen, wegen einer Krankheit, die nur das rote Ausrufezeichen in meiner App von einer Erkältung unterschied.

Tief atme ich die kalte Luft ein, die Freiheit, die an diesem Abend nach Flieder und Benzin riecht. Dann stecke ich mir eine Zigarette an und öffne das Bier, das ich mir an der Tankstelle gekauft habe. Und mit einem Mal ist die Pandemie weit weg und die Innenstadt kommt mit jedem Schritt näher.

Die liegt auf der anderen Seite der Saar, dort, wo die Lichter sind, die sich am Nachthimmel spiegeln, und um sie zu erreichen, muss ich über eine der Brücken, die die Stadt zusammenhalten wie eine Wundklammer. Ich ziehe noch einmal an der Zigarette und schnippe sie dann in den Fluss, der sie teilt.

Dichter Nebel lässt die gelben Lampen der Straßenlaternen wie Pusteblumen erscheinen, die zu beiden Seiten die Brücke säumen, die mir wie das Tor zur Stadt erscheint, zu all ihren Verheißungen. Und an deren Pfeilern die Stadtverwaltung Blumenampeln aufgehängt hat, in denen weiße und rote Geranien blühen. Saarbrücken, das ist Poesie, wenn man nur genau genug hinsieht, ist das Echo von Paris, der großen Schwester an der Seine, zu der man sich hier so viel mehr hingezogen fühlt als zum spröden Berlin.

Auf einmal dringt Musik an mein Ohr, ganz leise nur, und doch weiß ich sofort, woher sie kommt. Dass sie nur vom ‘Beach’ rühren kann, jenem künstlichen Sandstrand, den der Verleger eines längst vergessenen Stadtjournals in der vergeblichen Hoffnung hat aufschütten lassen, dem Biergarten am anderen Ufer Konkurrenz zu machen. Und der schon seit Jahren geschlossen ist.

Schon höre ich die Stimmen der Feiernden, ihr Gelächter, das von einem lateinamerikanischen Rhythmus untermalt wird, von spanischen Gitarren. Sehe ich dicht an dicht tanzende Paare in Abendgarderobe unter einem Pavillon, Menschentrauben, die sich um Stehtische bilden, und bunte Lichtkegel, die im Takt der Musik über sie geistern. Und ein Stück außerhalb sogar einen Zuckerwattestand, wie man ihn vom Jahrmarkt kennt.

Unwillkürlich führe ich den Joint zum Mund, der sich plötzlich in meinen Fingern findet, ziehe ich den schweren Rauch tief in die Lunge, während ich das Treiben beobachte. Und werde ich von einem Hustenkrampf gepackt, der kein Ende nehmen will.

Und als ich die Augen wieder öffnen kann, ist es das Geländer der Treppe, das ich mich greifen sehe, ihre Stufen, die ich zum Strand hinabsteige.

© Frederik Dressel 2022-03-20

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Abenteuerlich, Inspirierend, Mysteriös
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