von Isa_Bella_King
Hast du schon einmal voller Staunen den Kopf in den Nacken gelegt und den Schein des Mondes auf deinem Gesicht gespürt? Ich mache das heute noch, so oft es geht und komme nicht umhin, die Schönheit des Lichts zu bewundern – mal reinstes Silber und manchmal fast rot. Es ist ein besonderes Leuchten, das von ihm ausgeht. Es ist nicht heiß, nicht wärmend und weit weniger quirlig als das Licht seines Bruders Sonne. Stattdessen erschien mir der Mond immer altehrwürdig und weise. Sein Glanz wie ein beruhigendes, wissendes Lächeln in der Finsternis. Was könnte er für Geschichten erzählen? Welche Geheimnisse mochten ihm in der Dunkelheit der Nacht anvertraut worden sein?
Ich erinnere mich noch, als wäre es gestern gewesen. Als ich klein war, stand mein Bett unter einem Dachfenster, sodass ich jede Nacht hinauf in den Himmel blickte. Es war ein unwahrscheinlich erhebender Anblick, der mich gleichzeitig demütig die Arme um mich selbst schlingen ließ. All diese Sterne und das Licht. Der Mond wurde zu einem guten Freund. Ich beobachtete, wie die Sichel Nacht für Nacht wuchs. Es sah aus, als bekäme der Mond einen dicken Bauch. Bei diesem Gedanken muss ich heute noch kichern. Gleichzeitig waren immer weniger Sterne am Himmel zu sehen. Ich zählte also eins und eins zusammen und für meinen kindlichen Verstand lag die Lösung deutlich auf der Hand: Ganz klar, der Mond sammelt die Sterne ein und wird so immer dicker.
Aber irgendwann kann auch der Mond keine Sterne mehr umarmen. Irgendwann ist er einfach voll. Ist dir mal aufgefallen, dass ein Vollmond immer irgendwie zufrieden aussieht? Dann ist er nämlich glücklich, weil er so viele Freunde nah an seinem Herzen hat, weil er komplett ist. Irgendwann werden jedoch seine Arme zu schwer. Nun muss er die gesammelten Sterne wieder loslassen. Die verteilen sich dann über den Himmel und der Mond nimmt ab. Er wird immer dünner, bis er sein ganzes Licht verschenkt hat und selbst ganz dunkel ist. Dann funkeln die Sterne besonders hell und tragen das Licht des Mondes in die Welt. Aber schon bald haben sie Mitleid mit dem armen, alten Mond. Einer nach dem anderen kommt zu ihm zurück und lässt sich umarmen. So sammelt der Mond die Sterne ein und erhält Stück für Stück sein Leuchten zurück. Aber hin und wieder kommt es vor, dass ein Sternchen sich verirrt. Darum sieht man auch in Vollmondnächten manchmal ein kleines Leuchten hier und da. Das ist ein kleines Stück des Mondlichts auf seinem Weg nach Hause.
Erwachsenwerden verändert die Art, wie wir die Dinge sehen. Aber ich stelle mir auch heute noch gerne vor, wie der Mond seine Arme weit öffnet, um mit seinem Licht alle zu umarmen.
© Isa_Bella_King 2023-05-02