von Andrea Wessely
Das Vorzimmer der Altbauwohnung tarnte sich mit Desinfektionsmittelspender der Amazon Eigenmarke und zwei Ikea Plastikstühlen ungeschickt als Wartezimmer.
Bedauerlicherweise war mittlerweile auch der letzte Mehlwurm unter ihren nervösen Fingern zu Staub zerfallen.
Sie hatte eigentlich vorgehabt, damit ihren verdächtig knurrenden Magen zum Schweigen zu bringen, um ihre glorifizierte Biografie aufrecht zu erhalten:
Eine Tochter aus reichem Hause, die aufgrund hoher Erwartungen ihrer Eltern ihr Privatleben geopfert hatte, um ihren schweren Konzentrationsstörungen zum Trotz einen Master zu erlangen und ihre Eltern damit stolz zu machen.
Nachdem sie geheiratet und ihr erstes Kind bekommen hatte, waren bei ihrem Sohn nun die klassischen ADHS Symptome wie Hyperaktivität und starke Konzentrationsprobleme aufgetaucht, was sie dazu veranlasste sich mit ihrer eigenen Symptomatik, mit der sie schon seit Kindheitstagen zu kämpfen hatte, auseinanderzusetzen.
Ihr Job in einer angesagten Kunstgalerie fiel ihr zunehmend schwerer, da sie regelmäßig in Tagträumerei verfiel und Probleme hatte, sich auf lange Kundengespräche zu konzentrieren.
Als sie jedoch den Symptomcluster, der für Frauen mit ADHS in sanften Pinktönen auf einer Website für Mental Health aufgemalt war, auswendig lernte, war ihr aufgefallen, dass das meiste tatsächlich der Wahrheit entsprach.
© Andrea Wessely 2025-05-14