In der dritten und vierten Klasse Volksschule wurde ich von einem Lehrer unterrichtet, der von vielen Kindern ob seiner Strenge gefürchtet wurde. Zwei meiner älteren Geschwister kannten ihn schon und erklärten mir, dass das alles nur halb so schlimm wäre und er früher, bei ihnen, noch viel strenger gewesen sei.
Er trug stets seinen Zeigestab mit sich und wurde von uns bewundert, wenn er ihn durch schnelle Bewegungen seiner Finger im Kreis drehte. Oft fiel er ihm dabei aber auch zu Boden, sofort musste einer von uns aufspringen, um den Stab aufzuheben, ansonsten schlug seine Laune sehr schnell um und er beschimpfte uns lautstark als unhöflich und nicht hilfsbereit. Wenn ein Kind nicht aufpasste oder gar tratschte, schlug er mit dem Stab kräftig auf die Tischplatte. Immer wieder erschraken wir ob des lauten Krachens und mehrere Male zerbrach ein Stab dabei in zwei Teile.
Im Kopf zu multiplizieren brachte er uns bei, indem er Zahlen an die Tafel schrieb, zwei davon mit seinem Stab antippte und danach blitzschnell auf einen von uns zeigte. Wie aus der Pistole geschossen hatte die Antwort zu erfolgen, um ihn nicht zu verärgern. So streng er auch war, konnte er doch auch sehr lustig sein. Am Faschingsdienstag trug er die aufwendigsten Kostüme und spielte witzige Spiele mit uns.
Bei ihm lernten wir das Aufsatzschreiben, was mir von Anfang an viel Spaß machte und so begann ich schon bald, relativ lange Aufsätze zu schreiben. Was ich dabei jedoch weniger mochte, war, dass wir als Verbesserung nicht nur die falsch geschriebenen Wörter schreiben mussten, sondern zusätzlich auch den ganzen Aufsatz. Und falls er in der Verbesserung auch nur einen einzigen kleinen Fehler fand, war der ganze Aufsatz ein weiteres Mal zu schreiben.
Als einmal endlich genug Schnee lag, begaben wir uns zum Schlittenfahren und “Sacklrutschen” auf einen kleinen Hang in der Nähe der Schule. Eine Lehrerin blieb oben am Hang stehen, unser Lehrer unten. Ich kam einmal direkt neben ihm zu stehen, er gab mir Zigaretten und Feuerzeug und schickte mich damit hinauf zu seiner Kollegin, die wohl schon darauf wartete. Gerne erledigte ich diese kleine Aufgabe.
Ein paar Tage später war ein Aufsatz über diesen Ausflug zu schreiben. Ich bemühte mich, möglichst genau darüber zu berichten. Natürlich beschrieb ich auch meinen kleinen Bringdienst. Nach der Korrektur durch den Lehrer waren die Wörter “Zigaretten und Feuerzeug” aber plötzlich verschwunden, nicht etwa mit Rotstift angestrichen, sondern fein säuberlich ausgelöscht und durch “Schlitten und Rodel” ersetzt. Verwundert starrte ich auf mein Heft, ich hatte doch niemandem Schlitten und Rodel gebracht und warum sollte ein Lehrer den Tintenkiller statt des Rotstiftes benutzen? Dass er es im Nachhinein als Fehler sah, einem Kind Zigaretten anvertraut zu haben und nicht wollte, dass jemand davon erfuhr, wäre mir nicht in den Sinn gekommen. Denn in meinen Augen hatte er immer recht.
© Regina Schützenhöfer 2022-01-23