Ich saß jahrelang auf keinem Rad mehr, obwohl ich als Kind wirklich gerne fuhr und mein Fahrrad sogar einen eigenen Namen hatte. Die permanente Gewichtszunahme vergällte mir jedoch irgendwann die Freude daran und ich empfand das Radfahren nur noch als schweißtreibend und anstrengend. Erst nach meiner Magenoperation und der damit erzielten Reduktion meiner Leibesfülle entdeckte ich den Drahtesel für mich neu und von da an fuhr ich wieder viel. Sehr viel. Ich machte die Erfahrung, dass sich Kondition schnell abbaut, aber auch innerhalb kurzer Zeit wieder zurückkehrt. Ich fuhr das ganze Jahr über und weder Regen noch Schnee konnten mich davon abhalten.
An einem herrlichen, sonnigen Tag im Winter 2017 war ich schon sehr zeitig unterwegs zu einem Vortrag, den ich an diesem Tag halten sollte. Ich genoss die Fahrt und kann mich noch gut daran erinnern, wie sehr ich mich auf den Tag freute. Beim Westbahnhof kam ich dann plötzlich zu Sturz. Ich nehme an, dass ich eine Eisplatte übersehen habe, jedenfalls ging alles blitzschnell. Ehe ich mich versah, lag ich am Boden. Ich wusste, dass ich mich verletzt hatte, fühlte starke Schmerzen und erschrak über die körperliche Starre, die ich plötzlich bemerkte. Bewegungslos lag ich am Boden und war mir sicher, dass mir gleich jemand zu Hilfe eilen würde, schließlich ist der Westbahnhof eine stark frequentierte Gegend. Die Leute gingen jedoch an mir vorbei. Einer stieg sogar über mich hinüber. Keiner bot mir Hilfe an, niemand rief die Rettung. Selbst andere Radfahrer fanden es nicht der Mühe wert, sich nach meinem Befinden zu erkundigen. Nach einer gefühlten Ewigkeit schaffte ich es irgendwie, mich aufzurappeln. Ich stieg wieder aufs Rad und fuhr wie in Trance ins Seminarzentrum, wo schon mein Kollege auf mich wartete. Als er mir die Tür öffnete, erschrak er. Ich muss furchtbar ausgesehen haben. „Was ist dir denn passiert?“, fragte er mich schockiert. Da brach es aus mir heraus und ich schluchzte wie ein Kind. Ich weinte nicht so sehr wegen der Schmerzen, die hatte das Adrenalin betäubt, sondern aus Enttäuschung.
Nachdem ich den ersten Schock überwunden hatte und zumindest notdürftig gesäubert war, versuchte ich in maßloser Selbstüberschätzung meinen Vortrag zu halten. Es blieb beim Versuch, denn ich schaffte es nicht einmal mehr, einen Stift zu halten. Ich brach ab und ließ mich von meinem Kollegen ins Spital fahren. Dort wurde mir, nach einer schnellen Untersuchung, eine Schulterprellung diagnostiziert. Ich solle den Arm schonen. „Noch einmal Glück gehabt“, dachte ich mir. Die Schmerzen blieben trotz Schonung. Sie steigerten sich sogar von Tag zu Tag. Als sie nach 14 Tagen fast unerträglich wurden, ging ich wieder ins Spital und bestand darauf, trotz Widerstands des leitenden Arztes, noch einmal untersucht zu werden. Das Röntgenbild zeigte, dass die Schulter im Längsverlauf gebrochen war. Sie schmerzt bis heute und erinnert mich an die damalige Enttäuschung.
© Thomas Kalkus-Promitzer 2022-08-24