Der Superman aus Japan

Hannes Stuber

von Hannes Stuber

Story

Zeané war der Mensch, der die Makrobiotik nach Österreich brachte. Es war 1977, als er seine ersten Seminare gab, anfangs in Wiener Neustadt. Ich nahm an einem Wochenende teil und hörte mir die Philosophie dieser japanischen Ernährungsweise an. Eigentlich war ich von Claudia, einer Freundin mitgeschleppt worden, die meinte, das Thema wäre was für mich.

Er erzählte viel, von Familien in Japan, die bereits seit vier Generationen streng makrobiotisch lebten, wo die Kleinkinder Erinnerungen an frühere Leben hatten und den Alten die dritten Zähne wuchsen. Vieles hörte sich wie ein kleines Wunder an, etwa wenn er vom Turning Point des Jahres 2012 erzählte. Die Zeit verläuft nicht liniear, wie Zeané ausführte, sondern zyklisch in einer Endlosspirale. Bis zum Jahr 2012 würde alles schneller werden, weil die Umdrehungen kürzer, dann käme es zum Kontrapunkt und danach würde sich die Spirale vergrößern, die Qualität der Zeit wieder verlangsamen. Es klang ein bisschen nach Esoterik, aber ich hatte ein offenes Ohr für allerlei Unglaubliches, warum nicht auch für eine Zeit, die zwischen Kontrapunkten pendelte.

Zeané aß sehr hektisch in den Pausen während des Seminars. Er kaute schnell wie ein Maschinengewehr. Angeblich sprach er elf Sprachen und schlief nur zwei Stunden jede Nacht. Mehr Zeit brauchte er nicht. Er war sowas wie ein makrobiotischer Superman. Ich schätzte ihn auf etwa vierzig Jahre. Ursprünglich stammte er aus Kroatien, hatte aber Jahrzehnte in Japan gelebt und gelernt. Nun bereiste er Europa, um die Makrobiotik in die Welt zu bringen. Er war ein Kollege von Osawa und Kushi, jedoch nicht so berühmt. Nach Österreich war er gekommen, obwohl ihn eine Ahnung – oder Prophezeiung – davon hätte abhalten sollen. Er erzählte, dass er glaubte, hier bei uns an einem Autounfall zu sterben.

Anwesend am Seminar waren rund zwei Dutzend Menschen, darunter das Ehepaar Wrenkh, das kurz danach in Wiener Neustadt das erste makrobiotische Restaurant Österreichs eröffnete. Der Mann war groß gewachsen und hatte einen eher kleinen Kopf. Zeané erklärte, wenn man sich fünf Jahre lang ausschließlich makrobiotisch ernährte, würde der Kopf wachsen. Hätte man umgekehrt einen zu großen Kopf für den Körper, würde nach fünf Jahren der Körper wachsen, egal wie alt man war. Wie gesagt, er erzählte uns einige Dinge, die sehr unglaublich klangen.

Meine Begeisterung für diese asketische Ernährung hielt nach dem Seminar nicht allzulange an. Ich wollte wieder Orangen essen und Milch trinken, beides ein No-Go in der makrobiotischen Welt. Claudia war da viel konsequenter, sie arbeitete ja auch im Restaurant des Ehepaares Wrenkh. Manchmal ging ich hin, etwas Gesundes zu essen. Ein paar Jahre später hörte ich vom Tod Zeanés. Es kam so, wie er geahnt hatte. Er starb an einem Verkehrsunfall, als Beifahrer, vollkommen unschuldig. Er hatte nichts zum Unfall beigetragen, aber wissentlich das Opfer auf sich genommen – um die Makrobiotik zu verbreiten.

© Hannes Stuber 2021-04-11