Der Tag, an dem ich meinen Mann verließ (1)

Jana Puschmann

von Jana Puschmann

Story

Kennt ihr diese Frauen, die es schön finden, wenn Männer sensibel sind, wenn sie ihre Gefühle verbalisieren, wenn sie weinen? Ich gehöre nicht zu diesen Frauen.

Er sitzt mir schräg gegenüber und weint. Ich finde es ganz und gar nicht schön. Sein Gesicht ist gerötet, seine Augen schockiert auf mich gerichtet und die Wangen tränennass. Es schüttelt ihn beim Schluchzen, je mehr er begreift, was ich ihm gerade gesagt habe. Ich versuche, den Ausdruck in seinen Augen zu deuten. Er sieht einerseits verletzlich aus, wie ein kleines Kind, das in den Arm genommen werden will, und so gar nicht wütend, enttäuscht oder verständnislos. Das hatte ich nicht erwartet – oder doch?

Und andererseits sehe ich keinen Funken Wut, nicht ein Zeichen dafür, dass er kämpfen möchte. Das hatte ich eigentlich schon erwartet. Versteht mich nicht falsch; selbst wenn er kämpfen wollte, ich habe mich entschieden – und das nicht erst heute. Und man sagt doch, dass Frauen, die sich entscheiden zu gehen, nicht wiederkommen. Ich bin so eine Frau. Meine Zahnbürste ist schon seit drei Tagen bei meiner Schwester, meine Koffer mit dem wichtigsten Zeugs auch – alles, was hier um mich herum noch mir gehört, ist mir fast egal. So wie er mir fast egal ist. Nur fast, weil mich seine Tränen schmerzen und ich ihm natürlich nicht wehtun will, aber dieser fehlende Widerstand, diese Resignation und dann – er spricht plötzlich: „Ich nehme an, du willst dich scheiden lassen?“ – diese absolute Gewissheit für mich, dass ich es ihm nicht wert bin, mich vom Gegenteil zu überzeugen. Ich sehe ihn an und spreche es laut aus: „Ja, das will ich.“

Er reagiert kaum. Wahrscheinlich ist er geschockt. Er schnieft in ein Taschentuch und verdaut alles, was ich erläutert habe. Ich habe ihm nichts vorgeworfen. Ich habe keine Schuldzuweisungen getroffen. Ich habe ihn nicht beleidigt. Heute ist nicht der Tag, ihm zu sagen, dass ich unsere Ehe zwar beende, aber er dafür gesorgt hat, dass es so weit gekommen ist. Heute ist nicht der Tag, ihn wütend zu machen. Heute ist der Tag, an dem mein neues Leben beginnt.

Während ich vom Tisch aufstehe, an dem ich öfter alleine als mit ihm gegessen habe, fällt eine Last von mir, die mich seit Jahren tiefer und tiefer in den Abgrund gezogen hat. Ich atme durch, sehe ihn noch einmal an und sage, dass ich nun gehe.

„Melde dich, wenn du deine restlichen Sachen holen möchtest. Du kannst jederzeit vorbeikommen“, ist das Letzte, was ich von ihm höre.

Ich schließe die Haustür hinter mir und blicke mich nicht noch einmal um. Es ist geschafft. Ich bin frei. Und in diesem Moment fühle ich mich leicht.

© Jana Puschmann 2022-05-06

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