Der Teenager Tom

dieschreiberei

von dieschreiberei

Story
Linz

Tom sitzt alleine im Pausenhof. Das Jausenbrot schmeckt scheußlich. Jeden Tag das gleiche. Brot, die billigste Butter, eine Scheibe Wurst und eine halbe Käse. Daneben vier Scheiben Gurke, die ein jedes Mal das Brot durchtränken. Einfach widerlich. Tom klappt die Box wieder zu. Der Magen knurrt. Als würde ein riesiger Wolf neben ihm stehen. Tom verscheucht ihn mit einer Handbewegung. Das Magenknurren wird leiser. Oder Tom hört einfach nicht mehr hin.

Tom nimmt seinen Block heraus. Er blättert und blättert. Überfliegt die Zeilen. Sie gefallen ihm gut. Im Schreiben kann er sich ausdrücken, im Gespräch kann er am besten schweigen. Ein starker Windstoß wirbelt seine losen Zettel durch die Luft. Sie verteilen sich rund um ihn. Verärgert rappelt er sich hoch und sammelt sie wieder ein. Da ertönt die Glocke. Die verhasste Pause endet. Das Alleinsein endet. Aber die Einsamkeit bleibt.

Im Klassenzimmer erklärt der Lehrer kurz die Aufgabenstellung. Dann arbeitet jeder für sich. Tom holt seinen Block hervor, sucht nach einer leeren Seite. Gerade als er umblättern will, bleibt sein Blick an einem der Zettel hängen. An einem, den er noch nie gesehen hat. Mit nur einem großen Wort darauf „Freundschaft“ und ganz winzig steht gedruckt „WorTheater“. Sofort taucht in Tom ein Bild auf.

Freundschaft ist wie Gipfel stĂĽrmen,
wie tauchen bis zum Meeresgrund,
wie Reden durch die ganze Nacht,
wie Leben bloĂź fĂĽr uns gemacht.


„Tom, ist alles ok bei dir?“, steht der Lehrer vor ihm. Er schrickt hoch. Auf dem Zettel vor ihm herrscht gähnende Leere, bis er dem Blick seines Lehrers folgt. Ganz unten, in aberwinzigen Buchstaben steht sein Gedicht geschrieben. Bis jetzt hat er es immer im Kopf behalten. Dieser wird nun tomatenrot. Tom macht sich bereit für eine Schimpftirade. Doch sein Lehrer wischt sich rasch über die Augen, deutet auf die Aufgabe und geht. Tom braucht noch ein paar Minuten. Er atmet hörbar aus. Rasch schreibt er den Rechenweg auf und bringt es dem Lehrer. Ein paar Minuten später klingelt es für die nächste Pause. Das Alleinsein prescht auf ihn ein.

Als Tom die Klasse verlässt, gibt ihm der Lehrer den Zettel zurück. Im Hinausgehen entdeckt Tom in der anderen Ecke ein paar verschnörkelte Worte. Die Handschrift seines Lehrers. „Trau dich, laut zu sein. Im Leise bist du schon perfekt“. Nun wischt Tom rasch mit seinem Ärmel über seine Augen.

„Na, erzähl doch mal von deiner Liebelei mit dem Herrn Lehrer“, setzt sich ein Klassenkollege zu Tom im Pausenhof. Mit großen Augen sieht Tom ihn an. Das Herz pumpt kräftig rote Farbe in sein Gesicht. Dann wird Tom laut und sagt mit kraftvoller Stimme: „Ich habe ein Gedicht geschrieben. Über die Freundschaft, weil sie mir fehlt.“ „Ich schreibe auch“, murmelt der Schulkollege.


© dieschreiberei 2024-05-09

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Herausfordernd, Emotional, Traurig
Hashtags