von Lisa Stenech
Eingerahmt von meinen Eltern und doch fehlte jemand neben mir. Denn mein rechter, rechter Platz war leer. Da wünschte ich mir meine Schwester her.
Acht Tage war es her, seit sie eingeschlafen und nicht mehr aufgewacht war. Vor sechs Tagen hatten wir es erfahren.
Meine Schwester plante nicht sonderlich oft. Dass sie von übermäßigem Stress krank wurde, hatte ich spätestens bei ihrem Besuch zu mir die USA gemerkt, als wir nach einem langen Reisetag ‘nur’ sechs Stunden Schlaf bekamen (ich persönlich finde das ja eher viel als wenig). Und doch war es ihr unglaublich wichtig gewesen, die Rose noch einmal blühend zu sehen; oder zumindest noch nach Wasser dürstend. Manch einer hätte sie vielleicht davon abhalten wollen mit dem Hinweis darauf, dass es unnötiger Mehraufwand gewesen wäre und es sich nicht ausgezahlt hätte. Ich nicht. Natürlich hatte ich meine Meinungen zu Entscheidungen meiner Schwester, die ich auch nie zögerte, ihr mitzuteilen. Aber nie wollte ich, dass sie anderer Senf – meiner eingeschlossen – so weit beeinflusste, dass er ihre eigene Stimme übertönte. Denn trotzdem sie stur sein konnte wie ich, war sie ab und zu doch ein wenig zu gutmütig denen gegenüber, die versuchten, ihr Leben in die Hand zu nehmen. Aber an jenem Tag war ein Determinismus im Klang ihrer Stimme zu verzeichnen gewesen, der darauf hingewiesen hatte, dass sie sich von nichts und niemandem davon abbringen lassen würde, der Rose einen Besuch abzustatten.
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Außer vom Tod.
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Wenn man für etwas gewillt war, die Ellbogentechnik anzuwenden, obwohl man eigentlich nicht der Typ dafür war. Dann fiel es schwer, zu akzeptieren, dass man nichts machen konnte.
Rein gar nichts.
Tränen waren ihre Wangen hinuntergeronnen, mein Herz stehengeblieben. Die schwarze Nachricht hatte den Raum gefüllt, war schwer gewesen und hatte gleichzeitig ein Vakuum von Stillstand ausgelöst. Ich konnte kaltherzig sein. Nicht in diesem Moment. Also hatten wir für einen Augenblick dagesessen, vom Leben geredet. Denn eines musste man über die Rose wissen: Sie war zufrieden im Leben gewesen. Und hatte meiner Schwester das Kuscheltier gekauft, welches mein Geburtstagsvetter werden sollte. Ich mochte die Rose sehr gern. Aber ich löge, verschwieg ich, wie besonders das Band zwischen meiner Schwester und ihr war. Und genau deswegen saß ich in dieser Kirche und dachte mehr an meine Schwester, als vermutlich gut war. Denn sie sollte hier sein und wäre es auch gewesen, hätte sie irgendeine Möglichkeit dazu gehabt.
Zumindest konnte ich ein zusätzliches Sterbekärtchen in meiner Hand verschwinden lassen, bevor es jemand bemerkte.
© Lisa Stenech 2023-01-26