Der Traktoide von Zrnak.

Tom Schopper

von Tom Schopper

Story

Guckst du, schaust du. Ist schon ein spürbarer Knick in der Evolution, wenn du dich seit 6 Wochen jeden Tag live filmst, natürlich das noch in selbst auferlegter Daheimbleiberei, mit Echo aus dem Kühlschrank und damit das Ganze nicht humorlos endet, natürlich auch mit einem NikotinEntzug vom Feinsten gesegnet. „Hurra!“, hallt es aus dem Universum der Gerechtigkeit. „Endlich Sex!“, ruft laut der Masochist und was ich mir als Ganzes so denk, ist ja auch ein Leckerbissen.

Begonnen hat ja alles mit meinem Ficcus, der eigentlich am Wenigsten etwas dafür konnte. So ist das Leben eben. Seines besonders. Im Fall der Geschichte lebt er mit mir zusammen, auf 34 qm, das heißt … Tetris. Stolperfallen, die mal praktische Kabeln gewesen waren und kein Sonnenlicht, also der ideale Platz zur Grundsteinlegung einer massiven Depri. Die hatte ich ja schon länger. „Nur, was machen Menschen, die daran zerbrechen? Menschen, denen es sogar noch schlimmer geht?“, denk ich mir und stelle den Ficcus auf den Gang, damit er mal Abwechslung hat und ich mehr Platz im TetrisWohnzimmer. Den ich sofort zum Nachdenken nutze, denn ich möchte meinen Beitrag zur Gesellschaft beitragen. Es reicht, wenn nur ich schräg denke und das soll auch so bleiben. So ergibt eins das andere und es endet wie es kommen muss … ich sitz frisch gekampelt vor der unbarmherzigen Kamera meines Laptops und erzähle gerade meinem Spiegelbild, dass ich ab heute jeden Tag eine abendliche Unterhaltung abliefere und das ganze auch live. Auf meinem YouTube Kanal, damit der ganze Wahnsinn auch gut abgespeichert ist.

Ich kenne meinen Ficcus ja bereits seit 20 Jahren. In all den Jahren war er namenlos. Einfach nur mein Ficcus. Harmlos, selbst, wenn man Arges denkt. Da er jetzt wieder einmal am breiten Gang steht, sieht er meine Vorbereitungen zur bereits 14. Livestream Übertragung nicht. Er wäre stolz auf mich gewesen. Kurz vor Übertragungsbeginn klopft es hart an meiner Türe. Polizisten bestehen drauf, dass der namenlose Ficcus wieder bei mir beim Fenster steht. Er überträgt Krankheiten und steckt alle im Haus an. So beginne ich mit ihm zu reden, gebe ihm die Schuld, das ich auch live recht hemmungslos auslebe. Mal ist er der Schurli, der Mini, die Homeoffice Maus oder ein Eishockey Gegner. Ja klar.

So guck und schau ich mir die Entwicklung von Übertragung 1 bis hin zur letzten 42. an. Aus den Augenwinkeln vermag ich einen dunklen Schatten bemerkt zu haben. Ich stelle das Atmen ein. Obwohl ich unbequem sitze getraue ich mich nicht zu bewegen. ER ist wieder da. Ich spüre seine Blicke auf meinem Rücken. Eiskalt. Wird er mich diesmal holen? Der Traktoide von Zrnak.

Eigentlich ist mein Ficcus eh ein Lieber, falls ich ihn nicht zu gießen vergesse. Nur ein wenig seltsam ist er in den Tagen auf engstem Raum geworden. Wie es wohl anderen Menschen mit kleiner Wohnung so gehen mag? Besonders mit Ficcus im Zimmer? Ist da ein Aufstand im Gange?

Psssssssst. Leise. Der Traktoide bewegt sich wieder.

Oder wars der Wind?

© Tom Schopper 2020-05-18

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