von Susanne Radke
Ich verstehe mich nicht als allwissendes Genie, aber ich habe schon viel gearbeitet in meinem Leben – und zwar in ganz unterschiedlichen Bereichen. Als Kindermädchen, Grafikerin, Verkäuferin, Journalistin, Radiomoderatorin, PR-Lady, Klima-Managerin, Homepage-Betreuerin und in den letzten Jahren als Projektmanagerin. Jede einzelne meiner Tätigkeiten hat mir Spaß gemacht und ich war relativ erfolgreich – aber niemals war es PERFEKT.
Meinen derzeitigen Beruf habe ich quasi selber geschaffen und viele würden es sicher als Traumjob bezeichnen. Was er auch ist. Theoretisch arbeite ich 30 Stunden, in der Regel nach meinen eigenen Vorstellungen, meist von zu Hause aus womit ich für meine Teenagertöchter und Mann erreichbar bin. Ich kann von meinem Gehalt leben, bin viel unterwegs, lerne viele spannende Leute kennen und setzte mit Jugendlichen Projekte um, die Spaß machen und hoffentlich auch nachhaltig Sinnvolles bewirken – Praktisch gibt es viele Wochen, wo ich über 40 h arbeite und dafür ist mein Gehalt ziemlich bescheiden. Ich muss eigentlich immer erreichbar sein (für Familie UND Arbeit) und wenn etwas schief geht, bin immer ICH verantwortlich, egal ob es an mir, gedankenlosen Jugendlichen oder unzuverlässigen Mitarbeiterinnen liegt. Ich muss vorausschauend planen, für alle gleichzeitig mitdenken, mich mit Terminen, Behörden, Finanzen auseinandersetzen und immer gibt es dabei Menschen, die nicht soo freundlich sind, Fallstricke die man trotz aller Erfahrung NICHT vorhergesehen hat, Förderzusagen die NICHT eingehalten werden, usw. usw. Und dazu heißt es oft genug: Du arbeitest ja gar nicht “richtig”…
Tatsächlich würde ich meine Mühen nie vergleichen mit denen eines Bauarbeiters, einer Krankenschwester, oder KellnerIn. Ich kann nur hoffen, dass im Zuge des ständig wachsenden Bedarfs endlich auch ihre Arbeitsbedingungen, Images und Löhne angepasst werden. Aber all jenen Jugendlichen – und das sind meiner persönlichen Erfahrung nach nicht wenige – die davon träumen, ein tolles Berufsleben zu führen, indem sie als a) InfluencerIn durch die Welt jetten, b) ein nachhaltiges Start-Up für Vegan-Grillhähnchen gründen oder c) Koalas in Australien retten, möchte ich ein paar Dinge mit auf den Weg geben: All das ist möglich! Aber nur mit großer Anstrengung über Jahre hinweg. Homeoffice ist toll, aber nur von zu Hause und vom Computer aus kann man KEINE echten Berufs-Erfahrungen sammeln. Arbeitstermine müssen eingehalten werden, auch wenn die Sonne scheint und das jetzt gerade nicht so gut in meine Work-Life-Balance passt. Und spannende Arbeitsplätze sind sehr oft auch befristete, schlecht bezahlte oder unsichere Arbeitsplätze und schützen einen trotzdem nicht vor mindersympathischen Chefs. Ich hoffe sehr auf eine baldige 30 h-Woche und eine faire Bezahlung für alle Berufsgruppen, aber eines ist klar: Auch in Zukunft wird ohne Fleiß der zu erringende Preis eher bescheiden ausfallen….
© Susanne Radke 2022-05-19