Der Tyrann

Mariefu

von Mariefu

Story

Vorab entschuldige ich mich für die krasse Wortwahl. Und ich rate all jenen ab hier weiterzulesen, die bittere Wahrheiten schlecht aushalten oder zu Albträumen neigen.

36 schlaf-freie Stunden liegen hinter mir und die Ereignisse erwecken gruselige Bilder meiner Kindheit. Die tiefe Stimme des Mannes dröhnt durch den Hörer, den er seiner Frau aus der Hand riss, mit der ich gerade telefonierte. Mit ihm müsse ich sprechen und nur mit ihm, immer lauter wird seine Stimme und unterstreicht seine Wichtigkeit. Ich lege auf.

Es kracht und die Tür fliegt auf. Er begräbt mich unter einem fäkal-gefüllten Wortschwall und Drohgebärden. Dazu reckt er mir seine anschwellende Brust über breit aufgestellten Beinen entgegen. Ich schaue ihm in die Augen, heute kann ich das, und bitte ihn zu gehen. Er macht einen Schritt auf mich zu und hebt die Hand. Meine Hand legt sich schnell auf seine Brust und mit drei großen bestimmten Schritten schiebe ich ihn überrascht rückwärts aus dem Zimmer. Die Tür ist zu. Ich schwitze und zittere.

Das Kind steht nackt und nass auf der Straße vor der Haustür, die Frau weint und ist verzweifelt. Die schimpfende Stimme ist noch über Stunden zu hören, Straße rauf und runter, dazwischen hupende Autos und schimpfende Fahrer. Wir alle beten, es möge nichts Schlimmeres passieren und bereiten eine warme Mahlzeit für das Kind. Die Frau bringt ihr Kind zu Bett, sie weint immer noch und das Kind tröstet sie. Das Kind tröstet sie?!

Mein Kopf kämpft gegen wiederbelebte Schreckgespinste. Ich sehe meine Mutter auf dem kalten Küchenboden liegen, vor ihr der brüllende Mann, der ihr in den schwangeren Bauch tritt, bis nur noch ein Arzt wenigstens meine Mutter retten kann. Ich spüre die Unsicherheit der Nächte, weit nach Mitternacht fliegt die Tür auf, eine brüllende Stimme zerreißt meinen Traum und ich werde gezwungen, unsere Schuhe der Größe nach zu sortieren oder sie zu säubern. Es gefiel ihm nicht wie sie da so stehen, wenn er besoffenen Kopfes heim kehrte.

Heute Abend lege ich mich nach 36 schlaf-freien und mit Horrorbildern gefüllten Stunden auf mein Sofa zwischen meine kuschelig wärmenden Hunde und schlafe ein. Plötzlich höre ich diese Stimme, laut und überschlagend schreckt sie mich hoch. ,,Du setzt dich jetzt da auf den verkackten Stuhl!“ Zuerst denke ich an einen bösen Traum. ,,Sofort setzt du dich auf den verkackten Stuhl!“

Ein Kind weint und wimmert. Es kennt nicht das Warum. ,,Weil ich es dir sage!!!“ Weitere unschöne Ansagen an sein Kind folgen. Ich träume nicht, renne panisch auf den Weg vor meiner Haustür, suche die verhangenen Fenster an der Häuserfront gegenüber ab und finde nichts. Ich renne hoch in die erste Etage und schaue hinaus. Mein Herz rast.

Laut schimpfe ich nun meine Wut heraus. Ein Fenster in der zweiten Etage wird schnell geschlossen, die Stimme klingt gedämpft zu mir. Jetzt habe ich dich und sei sicher, ich passe auf und wenn es sein muss, wird meine Stimme lauter sein als deine…

© Mariefu 2019-09-05