Der Überlebende

Adam Sirovátka

von Adam Sirovátka

Story
Garten

„Da ist er ja“ rief mir meine Großmutter zu. Hinter der Deckung eines runden Gartentisches blickten mich vier stechende Augenpaare an. Einige waren durch dicke Brillengläser enorm vergrößert, sodass sie tellergroße Pupillen hatten. Eher als vier Senioren erschienen sie mir wie in der Ecke kauernde Monster. Ich fokussierte mich auf den vor mir stehenden Kuchenteller und begann kleine Stücke der Schokoschicht abzutragen. Zu meiner Rechten saß meine Großmutter, die mir wie ein schützender Schild vorkam. Doch von der linken Seite her streiften mich die Blicke zweier hagerer Wesen. Beide hatten kurze, graue Haare und beiden saß eine feuerrote Brille auf der Nase. Den Namen nach (Britta und Björn) konnte man darauf schließen, dass eine dieser Gestalten wohl männlich, die andere weiblich sei. Jedoch war es mir auch nach längerem Betrachten ein Rätsel, wem ich welches Geschlecht zuordnen sollte. Daneben saß ein weiblicher Koloss mit grauem gelockten Haar. Sie hielt einen Monolog über ihre Enkelin.

Plötzlich wurde es still. Ich blickte auf, wollte wissen, welchem glücklichen Umstand ich die Ruhepause zu verdanken hatte. Verflucht sei meine Neugier! Gerade, als ich meine Augen über den Tellerrand gleiten ließ, war ich unfreiwilliger Zeuge, wie ein ganzes Kuchenstück im unersättlichen Rachen dieser Dame verschwand. Sie kaute zweimal und würgte die Schokomasse runter. Mir wurde übel. Zu allem Unglück fing sie wieder an zu reden. Manchmal lachte eine Stimme neben ihr auf. Sie gehörte einem kleinen, glatzköpfigen Gnom, der sich ständig die Hände rieb, als hecke er einen bösen Plan aus.

Ich entschied mich, nun die Tasse anzustarren, da mir der Anblick meines Kuchens unerträglich wurde. Jetzt übernahmen die zwei hageren Wesen das Wort. Die Großbauchige wollte auch was sagen, begnügte sich jedoch nach einem kurzen, schmollenden Stirnrunzeln mit einem nächsten Kuchenstück. Schmatz, schmatz, schluck. Weg war es. Zwei Stunden und etliche Schokokuchen später kam es doch noch zu einem Dialog.

„Wie viel kostet eigentlich Toilettenpapier?“ Sofort lebten alle auf, endlich ein Thema, das jeden betraf.

„Also wir kaufen es immer für 3,79 die Packung.“

„Im Aldi gibt es das aber noch günstiger“ sagte der Gnom. Sogleich kassierte er einen bösen Blick von seiner Frau, da er es gewagt hatte, ohne ihre Erlaubnis etwas von sich zu geben.

„Aber ihr kauft doch auch 3-lagig, oder?“ interessierte sie sich.         

„Ja, natürlich. Wir kaufen jetzt sogar 4-lagiges, weil sonst…“ er deutete mit zwei gestreckten Fingern etwas an. Alle lachten… Erst, als aller Kuchen aufgegessen war, standen der Gnom und die Riesin auf und verabschiedeten sich. Sie seien noch woanders eingeladen und müssten nun gehen. Die Rotbrillenträger machten es ihnen gleich.

Bei Nachfrage bezeichne ich mich als Überlebender. Als Überlebender eines visuellen Massakers, dem ich nur knapp entronnen bin.

© Adam Sirovátka 2023-06-28

Genres
Humor& Satire
Stimmung
Komisch
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