von Irene Hülsermann
Mein Auto war in der Werkstatt. Ich beabsichtigte dennoch, meine Freundin auf dem Land zu besuchen und darum fuhr ich mit dem Bus. Warum ich mir nicht sofort eine Rückfahrkarte gekauft habe, weiß ich selber nicht mehr.
Laura wohnte in einem kleinen Dorf nördlich von Rom. Der Tag bei ihr war herrlich. Am Abend verabschiedete ich mich von meiner Freundin und ich wartete auf den Bus, der mich nach Rom zurückbringen sollte. Da die Bar geschlossen war, in der man normalerweise die Bustickets kauft, dachte ich mir, dass ich mir die Fahrkarte mit Sicherheit im Bus kaufen könnte. Da hatte ich die Rechnung aber ohne den Busfahrer gemacht. Dieser weigerte sich, mich ohne Ticket mitzunehmen. Selbst meine Erklärung, man könne in dem Dorf um diese Uhrzeit nirgends eine Fahrkarte kaufen und dies wäre der letzte Bus am selbigen Tag, interessierte ihn nicht und er schüttelte weiterhin nur den Kopf. „Außerdem muss ich zurück zu meiner Wohnung nach Rom. Wo soll ich sonst schlafen?“, bettelte ich. Aber nichts half, selbst die Tränen nicht. Langsam wurde der Busfahrer ungeduldig. Er schnauzte mich an, ich solle endlich aussteigen, er müsse losfahren.
Da erbarmte sich eine ältere Dame und kramte ein Ticket aus ihrer Tasche. Erleichtert gab ich ihr 1000 Lire und setzte mich auf den Platz neben sie. Der grantige Busfahrer konnte in diesem Augenblick nichts mehr sagen und musste mich wohl oder übel mitnehmen. Ich weiß nicht, warum der Busfahrer so frostig war. Ob er etwas gegen Ausländer hatte? Darauf werde ich vermutlich niemals eine Antwort erhalten.
Aber mir kam plötzlich der junge Italiener in der Toskana wieder in den Sinn. Ebenfalls gab er mir das Gefühl unerwünscht zu sein. Mittlerweile war mein Italienisch nahezu perfekt. Dass ich eine Ausländerin bin, merkte man unter Umständen nur an meinem leichten Akzent. Als ich an der Wursttheke „prosciutto crudo – rohen Schinken“ bestellte, bemerkte ich, dass der junge Mann das Rad an der Schneidemaschine verstellte. Ich wandte mich folglich nochmal an ihn und rief ihm zu, dass ich den Schinken sehr dünn haben möchte. Er drehte sich um und erwiderte grinsend: „Certo, signora! – Gewiss meine Dame!“. Zu Hause bemerkte ich dann, dass er die Scheiben extra dick aufgeschnitten hatte.
Also wer glaubt, Ausländerfeindlichkeit sei ein deutsches Problem, irrt. Meine Freundin aus Hamburg, die wie ich in Rom lebte, war mit einem gut-situierten Sizilianer liiert. Dessen Familie sah es gar nicht gerne, dass er mit einer Ausländerin zusammen war. Diese Beziehung endete nach wenigen Jahren.
© Irene Hülsermann 2022-10-08