Der Vater

Helmut Wigelbeyer

von Helmut Wigelbeyer

Story

Unser Vater, Viktor Wigelbeyer, wurde 1916 als neunzehnjähriger in die k&k-Armee einberufen und nach einer Spezialausbildung als erstklassiger Schiläufer einer Bergführer-Sturmkompanie zugeteilt.Diese Sturmkompanien galten als „Himmelfahrtskommando“ da diese Soldaten unter den schwierigsten Umständen an vorderster Front im Kampfgebiet des Ortlers in den Felsen Stellungen für MG-Nester errichten mussten.

Was der Vater in dieser Zeit bis Kriegsende tatsächlich erlebt hatte, erschütterte uns sechs Kinder erst lange nach seinem Tod (1969)durch seine „Kriegserlebnisse 1916 – 1918“ in einem alten Kassenbuch, welches ich zufällig am Dachboden fand. Vater hatte nie über diese Zeit gesprochen. Die Bergführer mussten, um die in beinahe viertausend Meter hoch liegenden Stellungen auf der Königsspitze zu erreichen, durch ins Eis gebohrte Stollen steigen. Die Unterkunftsbaracken waren in Eishöhlen errichtet worden.

Nach dem Krieg wandte sich der Vater dem Bobsport zu und wurde mit dem Fünferbob „Parzival“ als Lenker mehrfacher niederösterreichischer Bobmeister. Bei der Winterolympiade 1936 im Garmisch Patenkirchen trat er mit dem Semmeringer Viererbob „Enzian“ wieder als Lenker an. Bei einem Trainingslauf fuhr der schwere Stahlschlitten in der „Bayernkurve“ auf ein von einem zerfetzten italienischen Bob steckenden Eisenteil auf und wurde aus der Bahn geworfen. Während die drei hinter im sitzenden Kameraden unverletzt blieben, prallte der Vater mit dem Oberkörper an einen Baumstamm.

Da der Lenker des Bobs „Österreich 1“ vor dem am nächsten Tag stattfindenden Entscheidungslauf an Magenschmerzen laborierte, musste unser Vater diesen Bob trotz großer eigener Schmerzen übernehmen, konnte aber dennoch mit der Tiroler Mannschaft den achten Platz erreichen. Tags darauf konnte man in einigen Zeitung über die Heldentat eines österreichischen Bobfahrers lesen, der trotz drei gebrochener Rippen an der Konkurrenz teilnahm.

Unser Vater war auch Chorleiter des Semmeringer Kirchenchores, der an einem besonderen Feiertag in der kleinen Semmeringer Kirche Mozarts“Krönungsmesse“ aufführte . Der Chor wurde mangels einer Orgel von einem alten Harmonium unterstützt. Bei einer nach der Messe stattfindenden Agave bahnte sich ein kleiner Mann mit beinahe schäbigem Anzug einen Weg durch die Menge, um nach dem Kapellmeister zu fragen. Nachdem er meinem Vater vorgestellt worden war, lobte er in einem Kauderwelsch mit typisch amerikanischem Akzent den wunderbaren „Song of King“ und fragte, ob man einen Wunsch habe. Nachdem mein Vater lächelnd sagte, dass man sehr dringend eine Orgel benötigen würde, verabschiedete sich der Herr. Ein Jahr später besaß das Semmeringer Kirchlein eine klangvolle Orgel, gespendet von einem amerikanischen Multimillionär….

© Helmut Wigelbeyer 2019-08-25