Der Regen fiel in dichten, gleichmäßigen Strömen, als Jakob durch die engen Gassen der Altstadt ging. Sein alter Mantel war längst durchnässt, doch das störte ihn nicht. Er mochte den Regen. Er war eine Art Begleiter, ein treuer Freund in all den Jahren der Einsamkeit. Â
Er war alt geworden. Sein Leben bestand aus Routinen: frĂĽh aufstehen, Kaffee trinken, durch die Stadt gehen, den Menschen zusehen. Nur noch ein Schatten in der Welt, die ihn längst vergessen hatte.  Doch an diesem Morgen war etwas anders.  Am Rande des BĂĽrgersteigs, in einer PfĂĽtze, lag ein Brief. Ein einfacher, cremefarbener Umschlag, die Tinte verwischt vom Regen. Er hätte ihn ignoriert, wäre da nicht ein Name gewesen. Â
Hanna.
Sein Herz stolperte.  Zögernd kniete er sich hin, hob den Brief auf. Das Papier fühlte sich kalt und schwer an. Seine alten Hände zitterten, als er den Umschlag umdrehte. Kein Absender, keine Adresse. Nur ein Name. Ihr Name.  Sein Atem wurde flach. Es konnte nicht sein. Hanna war fort – verschwunden, so wie ihre Liebe, so wie all die Dinge, die einmal wichtig gewesen waren.
Er erinnerte sich an den Tag, an dem sie ging. Kein Abschied, kein letzter Blick. Nur eine leere Wohnung und das GefĂĽhl, dass etwas verloren war. Seitdem war er allein geblieben, ein Mann, der in Erinnerungen lebte, während die Welt an ihm vorbeizog. Â
Seine Finger gingen ĂĽber die nasse Oberfläche des Umschlags. Sollte er ihn öffnen? Â
Er suchte Schutz in einem kleinen CafĂ©. Die Glocke ĂĽber der TĂĽr klingelte, der Duft von frischem Brot empfang ihn. Er setzte sich an ein Fenster, spĂĽrte den Stoff seines Mantels auf der Haut. DrauĂźen glitzerte der Regen im Licht der StraĂźenlaternen. Â
Langsam öffnete er den Brief.  Die Tinte war verlaufen, doch er konnte die Worte noch entziffern. Â
„Jakob, ich hoffe, dieser Brief erreicht dich irgendwann. Es gibt so vieles, das ungesagt blieb. Ich wollte nie gehen, nicht wirklich. Aber manchmal muss man verschwinden, um gefunden zu werden.“
Sein Herz schlug schneller. Seine Augen flogen ĂĽber die Zeilen. Â
„Wenn du das liest, dann weißt du, dass es nie zu spät ist. Vielleicht treffen wir uns eines Tages wieder – irgendwo, wo der Regen aufhört und die Sonne scheint.“
Kein Datum, keine Erklärung. Nur diese wenigen Worte. Â
© Sasha_Dominique Djoleo 2025-03-02