Der Videochat, das Absurde und ich

Anna Theresa Schreiber

von Anna Theresa Schreiber

Story

Camus meinte, das Absurde könne einen an jeder Straßenecke anspringen. Heute braucht man dafĂŒr nicht einmal mehr die Straßenecke, eine Videokonferenz reicht aus.

Das Videotelefonat ist beendet. Du aber irrst online noch umher. Du hörst jetzt nicht mehr ihre verzerrten Stimmen, siehst nicht mehr den zwielichtig beleuchteten und etwas verpixelten Abklatsch ihrer Gesichter, der in kleinen Vierecken auf den Bildschirm gebannt war.

Die Lippen stammelten Worte, doch es war kein vertrauensvolles GesprÀch, denn du schriest gegen die Technik an, gegen dieses Medium, das euch zugleich verbindet und trennt, das Launen hat und Faxen macht.

Welche Unmöglichkeit auf den Projektionen der Gesichter deiner Freund*innen ein GefĂŒhl zuzuordnen, ihren Stimmen die gewohnten Nuancen zu entnehmen. Ein Informationsaustausch mit Hindernissen. Die Verschwommenheit weckt den Eindruck, du könntest nicht alles verstanden haben. Du wolltest ihnen so viel erzĂ€hlen, aber der Versuch Erfahrungen und Meinungen auszutauschen endete in Belanglosigkeiten.

Die Hauptfiguren der BĂŒcher, die du gerade liest, erscheinen dir wahrhaftiger als diese auf absurde Weise verzerrten Abbilder deiner real existierenden, lebendigen Freund*innen. In diesem Moment sind sie sprechende PortrĂ€tfotos, etwas das an Illusion grenzt.

Die anderen zu unterbrechen ist noch viel schlimmer als im analogen Leben. Du tust es, stolz darauf, dein GegenĂŒber ĂŒberhaupt verstanden zu haben und etwas kommentieren zu können, unsicher, ob sie dich gut hören oder ob sie gerade abgelenkt sind. Du plapperst wie ein dressierter Papagei mit dem Grinsen eines Honigkuchenpferdes. Was du deinen Freund*innen wohl sagen wĂŒrdest, wenn sie dich in Wirklichkeit sehen und hören könnten? Welche Witze du machen könntest, wem du verschwörerische Blicke zuwerfen wĂŒrdest? Wenn du der Kameralinse verschwörerische Blicke zuwirfst, könnte es als irres Augenrollen interpretiert werden.

Jemand lacht und will etwas sagen, du wirst panisch und rufst schwerhörig: „Was?“, wĂ€hrend sich ein drittes Chatmitglied zu Wort meldet und ihr anderen beiden dann wiederum „Was?“ schreit. Ein philosophisches GesprĂ€ch dauert zwei bis drei SĂ€tze. Du wertest es als Erfolg, wenn deine GegenĂŒber irgendwie mit dem Kopf wackeln, was sich als Zustimmung interpretieren lĂ€sst. Irgendwann der Abschied. Langgezogene “TschĂŒĂŒĂŒss”-Rufe und affektiertes Winken.

Erleichtert, dass diese groteske Komödie nun ihr Ende gefunden hat und zugleich bedrĂŒckt, dass von einer Sekunde auf die andere alle weg sind, irrst du online noch umher.

© Anna Theresa Schreiber 2021-04-03

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