Der Wechselbalg 12

Selina Castel

von Selina Castel

Story


„Als die Tür erneut geöffnet wurde, trat sein ältester Sohn hinein. „Ah, Everardus.“ Leander reichte ihm den geöffneten Brief. Everardus überflog die Worte schnell. „Yedaria hat unser Angebot angenommen.“, sagte er. „Du musst das nicht tun, Ever.“, hörte Leander sich leise zu seinem Sohn als Vater sagen. Everardus lächelte. „Es ist das logischste Bündnis, das Creostein jetzt eingehen kann.“ Leander rieb sich seine müden Augen. Fünf Jahre befanden sie sich schon im Krieg. Seinen erstgeborenen Sohn hatte er vor einem Jahr auf dem Schlachtfeld verloren. Edwards tiefe Liebe für sein Land und sein Volk hatten ihn zum perfekten Nachfolger und Zukunftskönig gemacht, doch auch genau das hatte ihn an die Frontlinie seiner Soldaten geführt. Für Edward hatte es außer Frage gestanden, dass ein König seine Schlachten selbst anführen musste. So wie es auch Leander einst getan hatte. Sein Sohn hatte jedoch mit seinem Leben für seine Überzeugung bezahlt. Nun lag die Bürde des Landes auf den Schultern von Everardus. Seit dem dunklen Tag an dem Edwards Leichnam in die Mauern Creosteins getragen worden war, hatte Everardus seine neue Rolle ohne Widerworte übernommen. Aber Leander sah die Veränderungen in dem Gesicht seines zweitgeborenen Sohnes. Egal, wie sehr er auch vorgab stark zu sein, Leander wusste, die Bürden eines Königs würden ihn brechen. Sein unschuldiges Herz war nicht gemacht für die Intrigen und Grausamkeiten des Hofes. Everardus kam ganz nach seiner gutmütigen Mutter. Nur er hatte ihre hellblauen Augen und blonden Haare geerbt. Leander vermisste sie schrecklich. Vier Söhne hatte sie ihm hinterlassen und er hatte ihr am Sterbebett geschworen sie zu beschützen. Edward war tot. Das Leuchten in Everardus Augen schwand mit jedem Tag. Und die beiden Jüngsten machten Leander nur Schwierigkeiten. Er hätte ihren Rat jetzt gut gebrauchen können. Wie soll ich unsere Söhne nur von den Grauen dieser Welt beschützten, Ethne? Wenn er sie doch nur noch einmal sehen könnte. „Warum muss es ausgerechnet Yedaria sein.“, brummte Leander. „Dieses göttinnenlose, magielose Land. Wir können nur hoffen, dass die Maschinen, die ihren niederträchtigen König künstlich am Leben erhalten ihren Geist aufgeben, sobald du seine Tochter geheiratet hast. Er verabscheut Magie, aber tauscht seine Organe für leblose Geräte aus. Ich will mir gar nicht ausmalen, wie seine Tochter sein muss.“ „Vielleicht kommt sie ja nach ihrer Mutter.“, sagte Everardus mit seiner immerzu hoffnungsvollen Unschuld. „Die Königin Yedarias ist noch schlimmer als Eleazar. Es ist kein Geheimnis, wie sie sich ihre freie Zeit vertreibt. Wer in solch einem Umfeld aufwächst, kann nur selbst verdorben sein.“ Leanders faltiges Gesicht wirkte nun noch älter als er es war. Everardus machte Anstalten zu gehen. „Ever, du musst es ihr sagen. Du kannst sie jetzt nicht mehr sehen.“ Everardus nickte seinem Vater zu und der Schatten im Gesicht seines Sohnes brach sein altes Herz.

Am nächsten Morgen wachte Maenia mit einem pochenden Kopfschmerz auf. Sie brauchte einige Sekunden, um sich zu orientieren. Sie hatte einen unglaublichen Traum gehabt. Stöhnend richtete sie sich auf und schaute blinzelnd in dem kleinen Raum umher. Entweder träumte sie noch, oder es war gar kein Traum gewesen!


© Selina Castel 2023-08-02

Genres
Romane & Erzählungen, Science Fiction & Fantasy