Der Wechselbalg

Corinna Winter

von Corinna Winter

Story

Warum ich ein Jäger wurde? Ich weiß es nicht mehr.

Aber ich bin einer geblieben, um die Schwächsten unserer Gesellschaft zu schützen. Ich habe nicht das Zeug dazu, selbst Kinder in dieser Welt großzuziehen, aber ich kann die Kinder anderer beschützen.

Manchmal auch vor anderen Kindern. Es ist ein schwieriger Teil der Jagd, doch letztlich bleibt es die Jagd auf Monster aller Art. Auch wenn sie aussehen wie Kinder. Denn wir wissen die Zeichen zu deuten.

Vor vielen Jahren war ich erneut auf einem Spielplatz, um sicher zu gehen, dass sich kein Troll eingenistet hatte. Dann sah ich es. Das Kind schien vielleicht wenige Wochen alt zu sein, aber es sah sich mit kundigem, intelligentem Blick um, ignorierte seine Mutter, die es versorgte, mit ihm spielte. Und diese stechend blauen Augen.

Alles eindeutige Anzeichen für einen Wechselbalg. Sie waren selten geworden, doch ich wusste, was ich zu tun hatte.

Ich wartete geduldig, bis die umsichtige Mutter abgelenkt war, dann schnappte ich mir den Wechselbalg. Es weinte nicht, was meinen Verdacht erhärtete.

Der Spielplatz besaß ein wenig Gebüsch, gerade genug, um darin für kurze Zeit verborgen zu bleiben. Doch ich brauchte nicht lang. Ein derart kleines Gesicht verschwand beinahe unter meiner Hand, die kleine Lunge holte bald keinen Atem mehr. Laut meiner Bücher würde sich der Wechselbalg in Feenstaub auflösen, das echte Kind erscheinen und ich könnte es von seiner Mutter finden lassen.

Nur…es geschah nicht. Nichts geschah.

Ich erinnere mich noch an meine Verwirrung, dann an die panischen Rufe der Mutter. Die trieben mich an und ich rannte los, doch ich war nicht schnell genug. Heute noch höre ich ihre Schreie, ihr Weinen, als sie begriff, was ich damals verdrängt hatte.

Ich hatte ihr Baby ermordet. Ein unschuldiges Kind.

Das ich zu schützen geschworen hatte.

Damals schob ich die Erkenntnis von mir, doch heute weiß ich, dass mich dieser Fehler auf ewig verdammt hat. Und meine Ignoranz, meine Arroganz darob sind unverzeihlich.

Heute weiß ich das. Doch damals wies ich jede Schuld von mir. Ich hatte einen Fehler gemacht. Na und? Wie viele Kinder hatte ich davor bereits gerettet? Was machte es schon?

Also dachte ich nicht länger daran. Ich vergaß das Kind, vergaß seine Mutter, vergaß meine Schuld. Weil ich es vergessen wollte.

© Corinna Winter 2022-12-06

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